Packet, Rytmus, Tron?

Günther Drosdowski über die Reform der Rechtschreibung

SPIEGEL: Herr Drosdowski, Sie gehörten der deutschen Kommission an, die jahrelang an der Reform der Rechtschreibung gearbeitet hat. Die meisten Mitglieder wären gern viel weiter gegangen, als im November vorigen Jahres auf einer internationalen Konferenz in Wien beschlossen wurde. Sie auch?

Drosdowski: Nein, ich hätte lieber da und dort Abstriche gemacht.

SPIEGEL: Vor sieben Jahren scheiterte ein Reformvorschlag daran, daß aus dem Kaiser ein Keiser, aus dem Hai ein Hei, aus dem Boot ein Bot werden sollte. Das wäre in der Theorie alles logisch, in der Praxis aber unsinnig gewesen. Jetzt soll es wieder einige merkwürdige Neuerungen geben: Packet statt Paket zum Beispiel.

Drosdowski: Darauf hätte man getrost verzichten sollen. Man beruft sich auf packen, nimmt aber in Kauf, daß künftig Packet anders gesprochen als geschrieben wird, denn es wird ja die zweite Silbe betont.

SPIEGEL: Und behände statt behende?

Drosdowski: Das wird damit begründet, daß dieses Wort von Hand als Stamm kommt. Ich habe einen kleinen Test gemacht, acht von zehn Germanisten wußten es nicht. Wie sollen es dann andere wissen, die sich nicht von Berufs wegen mit Sprache befassen?

SPIEGEL: Die Zigarette bekommt ein weiteres r und wird zur Zigarrette.

Drosdowski: Darüber bin ich auch nicht glücklich. Aber Sie haben eine Horrorliste mitgebracht und könnten noch weitere Wörter anführen, Frefel, Känguru und Tron fallen mir da ein. Auch das wäre aus meiner Sicht verzichtbar gewesen. Aber das sind Schönheitsfehler, die nichts daran ändern, daß der Reformvorschlag im ganzen zu begrüßen ist.

Die meisten anderen Eingriffe sind moderat, sie führen zu deutlichen Vereinfachungen und Verbesserungen. Deshalb ist die Dudenredaktion fest entschlossen, alles zu tun, um die Reform zügig in die Praxis umzusetzen.

SPIEGEL: Warum so viele "Schönheitsfehler" - es gibt ja noch mehr - bei einem Jahrhundertwerk?

Drosdowski: Diesen hochgestochenen Begriff hat meines Wissens noch niemand gebraucht, er wäre auch unangemessen. Diese Reform ist kein großer Wurf aus einem Guß, sondern es ist eine kleine Reform der Vernunft, wie ich gern sage. Es gab zu viele widerstreitende Meinungen und Interessen, deshalb müssen wir mit diesem Kompromiß zufrieden sein. Mehr war nicht möglich. Keiner der an dieser Reform Beteiligten ist mit allem einverstanden, jeder hätte gern irgend etwas anders gemacht.

SPIEGEL: Was ist mit Rytmus, Katastrofe, Restorant?

Drosdowski: Da sprechen Sie nicht irgendein Detail, sondern ein Kernproblem an. Das Regelwerk sieht bei diesen und einigen Dutzend anderen Wörtern Doppelschreibungen vor. Es bleibt bei Rhythmus, aber daneben wird auch Rytmus erlaubt, ebenso wird es neben Katastrophe auch Katastrofe, neben Restaurant auch Restorant geben. In den Zeitungen und Büchern wird weiterhin Rhythmus, Katastrophe und Restaurant stehen, die anderen Schreibweisen werden sich nicht durchsetzen, dessen bin ich völlig sicher. Die Schulen werden sich damit herumplagen müssen, obwohl es buchstäblich zu nichts führt.

SPIEGEL: Doppelschreibungen gibt's auch im Duden.

Drosdowski: Aber nicht annähernd in dieser Fülle, und auch nur dann, wenn sich Entwicklungen in der Sprache abzeichnen. Deshalb gibt es Telefon neben Telephon. Aber kennen Sie jemanden, der Katastrofe schreibt? Ich nicht.

SPIEGEL: 69 Prozent der Deutschen schreiben Rhythmus falsch, und aus einem SPIEGEL-Test wissen wir auch, wie: Rytmus, Rhytmus, Rythmus, Ritmus, Rithmus, sogar Rittmuß. Noch größere Mehrheiten scheitern an Portemonnaie, Hämorrhoiden und Necessaire. Denen kann nicht geholfen werden? Demnächst darf ja auch Portmonee, Hämorriden und Nessessär geschrieben werden.

Drosdowski: Das Argument, die hohe Fehlerquote müsse gesenkt werden, ist ernst zu nehmen, aber es darf nicht den Ausschlag geben. Wer übrigens an Portemonnaie scheitert, der wird auch an Portmonee scheitern, weil er am Ende entweder ein n zuviel oder ein e zuwenig schreiben wird.

Schwerer als die Fehlerquote wiegt, daß man mit den Doppelschreibungen eine Eindeutschung betreiben will, die der allgemeinen Entwicklung völlig zuwiderläuft, und zwar sowohl der Sprache als auch des Lebens überhaupt.

Die Entwicklung ist durch Massentourismus in alle Welt und Verständigung über Landesgrenzen hinweg gekennzeichnet. Wir aber machen Krepp aus Crepe, Teke aus Theke, Strofe aus Strophe, Spagetti aus Spaghetti. Absurd.

SPIEGEL: Herr Drosdowski, positiv an dem Entwurf ist, daß endlich mit vielem Unsinn Schluß gemacht wird, den der Duden vorschreibt.

Uns erstaunt, daß Sie sich über Dudenregeln so kritisch äußern, als hätten Sie nicht 34 Jahre in der Dudenredaktion gesessen. Sie sprechen in Vorträgen von Zufälligkeiten und Inkonsequenzen, fragwürdigen Regeln und unglückseligen Schreibungen - die es nicht gäbe, stünden sie nicht im Duden. Sind Sie für all das nicht verantwortlich?

Drosdowski: Nein, keineswegs. Unsere Rechtschreibung ist durch Jahrhunderte ohne Systematisierung gewachsen, und schon Konrad Duden hat sich an die Regeln und Schreibweisen gehalten, die 1901 amtlich festgelegt wurden. Auch die Dudenredaktion versteht sich als verlängerter Arm des Staates in Sachen Rechtschreibung.

SPIEGEL: 90 Jahre lang haben Konrad Duden und die Dudenredaktion nichts anderes getan, als das Regelwerk von 1901 auszulegen?

Drosdowski: Doch, natürlich weitaus mehr, sonst hätten wir ja tagaus, tagein Scrabble spielen können. Einige Bereiche, die Zeichensetzung und die Zusammen-/Getrenntschreibung, waren 1901 gar nicht amtlich geregelt worden, das hat erst Konrad Duden getan. Die anderen Regeln sind zunächst von Konrad Duden, dann von der Dudenredaktion ausdifferenziert worden, um Zweifelsfälle zu klären. Außerdem haben wir im Laufe der Jahrzehnte immer neue Wörter aufgenommen, der Ur-Duden enthielt 27 000, heute sind es fast 120 000.

SPIEGEL: Wir wollen darauf hinaus: Wer so eigenständig und unabhängig arbeitet wie die Dudenredaktion, der hätte auch Ballast abwerfen können und nicht 90 Jahre darauf zu warten brauchen, daß andere sich auf eine Reform einigen.

Drosdowski: Da muß ich Ihnen recht geben. Heute bedaure ich, daß wir nicht eingegriffen und Ungereimtheiten wie in bezug auf und mit Bezug auf, radfahren und Auto fahren beseitigt haben.

SPIEGEL: Statt dessen haben Sie auch noch versucht, solchen Unsinn wissenschaftlich zu begründen.

Drosdowski: Na, das nun aber wohl doch nicht.

SPIEGEL: Radfahren schreibt man in einem Wort und nicht, wie Auto fahren, in zwei Wörtern, weil "die Vorstellung der Tätigkeit vorherrscht".

Drosdowski: Weil man beim Radfahren in die Pedale tritt? Wo haben Sie denn das gefunden?

SPIEGEL: Duden, 20. Auflage 1991 - also im neuesten, Regel 207.

Drosdowski: (schaut nach) Nun ja, da steht auch noch, das Substantiv müsse verblaßt sein...

SPIEGEL: Wegen der verblassenden Substantive wird der Duden seit langem verspottet.

Drosdowski: Aber ich will uns gar nicht verteidigen. Mir war diese Regel nicht präsent. Sie sehen, es gibt nicht nur den vorauseilenden Gehorsam, sondern auch das vorauseilende Vergessen. Mit diesen Unterscheidungen wird endlich Schluß sein, dann also Rad fahren wie Auto fahren.

SPIEGEL: Künftig soll es eine unabhängige Kommission beim Institut für deutsche Sprache - ebenfalls hier in Mannheim - geben, die über alle Neuerungen entscheidet. Verliert damit der Duden seinen staatlichen "Auftrag" aus dem Jahre 1955, auf den Sie sich oft und gern berufen? Damals erklärte die Kultusministerkonferenz: "In Zweifelsfällen sind die im "Duden" gebrauchten Schreibweisen und Regeln verbindlich."

Drosdowski: An unserer Arbeit wird sich nichts ändern, auch dann nicht, wenn die Kultusminister den Beschluß von 1955 zurückziehen sollten.

SPIEGEL: Das Institut für deutsche Sprache geht davon aus, daß die neue Kommission künftig entscheidet, ob und wie Regeln und Schreibweisen geändert werden. Dann hätte die Dudenredaktion nur noch zu verwirklichen, was die Kommission beschließt.

Drosdowski: Ich kann verstehen, daß einige Reformer sich das so vorstellen, aber so wird es nicht kommen. Der Duden ist dafür bekannt, daß er zügig und aktuell arbeitet. Jedes neue Wort steht in der nächsten Auflage. Auf die Entscheidungen der Kommission müßten wir viel länger warten, wenn sie denn überhaupt gebildet werden sollte. Ich halte sie für so überflüssig wie einen Kropf.

SPIEGEL: Wenn sich jetzt die Rechtschreibung ändert, ändert sich dann auch der Duden?

Drosdowski: Dafür sehe ich keinen Grund. Aufmachung, Umfang, Gliederung, hoffentlich auch der Preis - es bleibt im Prinzip alles so, wie es sich bewährt hat.

SPIEGEL: Am häufigsten wird der Dudenredaktion vorgeworfen, sie habe viel zu viele und viel zu starre Regeln entwickelt. Berühmt geworden ist ein Satz Hermann Hesses, der Duden sei "eine Instanz, gegen die es keine Berufung mehr gibt, ein Popanz und Gott der eisernen Regeln, der möglichst vollkommenen Normierung".

Drosdowski: Hesse hat nie mit dem Duden gearbeitet, sondern das seinem Lektor überlassen und war oft erstaunt und empört, wie viele "Fehler" der in seinen Manuskripten fand. Wer uns vorwirft, wir würden übertreiben, der sollte den Duden mit dem Vorschlag des neuen Regelwerks vergleichen. Da wird zumindest partiell noch extensiver normiert als bei uns.

SPIEGEL: Es gibt schlimme Abschnitte im neuen Regelwerk, so 12 Sonderregelungen allein für kurze Vokale. Aber es gibt weit schlimmere im Duden, so 37 Regeln allein fürs Komma. Künftig wird es noch 8 geben.

Drosdowski: Die neue Kommaregelung ist in der Tat sehr gut handhabbar.

SPIEGEL: Der Duden wirft über alle Wörter und Sätze das engmaschige Netz seiner Regeln und Schreibweisen. Könnten Sie nicht gelegentlich sagen: Das stellen wir frei? Der Gedanke, Freiheit zu gewähren, ist der Dudenredaktion völlig fremd, wie uns scheint.

Drosdowski: Ja, der ist uns fremd, und der muß uns fremd bleiben. Wenn die Reformer ratlos und uneinig sind - eine für sie ziemlich typische Situation - und sich nicht für die eine oder andere Regelung entscheiden können, meldet sich immer irgend jemand zu Wort und ruft: Liberalisieren! Das ist Gift für die Rechtschreibung. Wir brauchen Klarheit.

SPIEGEL: Kann man nicht ungeregelt lassen, ob jemand

einen Minister kaltstellt oder kalt stellt,

sich für den kategorischen oder den Kategorischen Imperativ Immanuel Kants entscheidet,

im Brief "Ich liebe Dich" oder "Ich liebe dich" schreibt

und Multiple-choice-Verfahren oder statt dessen Multiplechoiceverfahren wählt?

Diese Freiheit gibt es weder laut Duden noch nach dem neuen Regelwerk.

(Schreibweisen heute laut Duden und künftig nach dem neuen Regelwerk: kaltstellt (heute), kalt stellt (künftig), kategorischer Imperativ (heute und künftig), Ich liebe Dich (heute), Ich liebe dich (künftig), Multiple-choice-Verfahren (heute), Multiplechoiceverfahren (künftig).

Drosdowski: Dabei muß es auch bleiben. Es ist modisch, über die schwierige Rechtschreibung und den Duden zu jammern. Aber je stärker man das Schreiben liberalisiert, desto schwerer macht man das Lesen. Der Leser erwartet eine gleiche Schreibweise, kein Neben- und schon gar kein Durcheinander. Und was soll der Lehrer tun? Den Schülern sagen, schreibt, wie ihr wollt? Die Schule braucht klare, knappe Regeln.

SPIEGEL: In Ihrer Info-Broschüre zur Rechtschreibreform schreiben Sie zu Recht, in jungen Jahren werde "vielen Menschen für ihr ganzes Leben Angst vor der Blamage beim Schreiben eingeflößt". Ist das Schuld nur der Schule oder auch des Dudens?

Drosdowski: Dem Duden laste ich keine Schuld an, er will ja gerade fehlerfreies Schreiben ermöglichen.

SPIEGEL: Manche Reformer verstehen es als Drohung, wenn Sie ankündigen, nunmehr beginne der Duden mit der Umsetzung des neuen Regelwerks in die Praxis. Wie groß ist die Gefahr, daß der Duden das Ziel der Reform, die Rechtschreibung zu vereinfachen und zu erleichtern, durch übermäßige Normierung bis ins letzte Wort wieder zunichte macht?

Drosdowski: Eine solche Gefahr besteht nicht im geringsten. Im Gegenteil, wir werden es allen erleichtern, sich auf die Neuregelung umzustellen.

SPIEGEL: Was geschieht mit den Regeln, die übernehmen Sie doch nicht einfach?

Drosdowski: Nein, wir schauen uns an, was für die Praxis wichtig ist, und arbeiten dies in die Richtlinien ein, die vorn im Duden stehen.

SPIEGEL: Und manches werfen Sie gleich in den Papierkorb?

Drosdowski: Ja. Die Regeln über die Laut/Buchstaben-Beziehungen sind so kompliziert und überflüssig, daß wir sie komplett beiseite gelegt haben. Was sich auf diesem Gebiet ändert, erfährt der Dudenbenutzer aus dem Wörterverzeichnis, das genügt vollauf.

SPIEGEL: Sie haben zu einigen Teilen der Reform eine kritische Einstellung. Wirkt sich das auf den nächsten Duden aus?

Drosdowski: Keinesfalls so, daß wir weglassen, was uns nicht gefällt. Um die Doppelschreibung von Fremdwörtern aufzugreifen, über die wir vorhin sprachen: Im Wörterverzeichnis wird Rhythmus stehen, dazu ein Hinweis auf die Richtlinien, und dort wird man erfahren, daß für dieses Wort und andere Wörter auch eine eindeutschende Schreibweise vorgesehen ist.

SPIEGEL: Das Wort Rytmus wird also gar nicht im Duden stehen?

Drosdowski: Wahrscheinlich nicht, es sei denn als Beispiel in den Richtlinien, keinesfalls im Wörterverzeichnis.

SPIEGEL: Die öffentliche Debatte wird wieder einsetzen, wenn der Vorschlag des neuen Regelwerks veröffentlicht wird. Intern beginnt sich bereits eine kritische Stimmung zu entwickeln. Insbesondere Schulpraktiker scheinen jetzt erst zu merken, was auf sie zukommt. Einige Experten äußern noch Wünsche, zum Beispiel, daß es bei daß bleibt und nicht dass eingeführt wird.

Drosdowski: Dafür ist es nun zu spät. Die Fachleute und die Verbände, übrigens auch die Lehrerverbände, haben sich geäußert. Ihre Anregungen sind entweder berücksichtigt oder verworfen worden. Nun geht nichts mehr. Aus. Vorbei. Erst wieder beim nächsten Mal, in 30 oder 60 oder 90 Jahren.

SPIEGEL: Das letzte Wort haben die Kultusminister. Sie hoffen, Herr Drosdowski, daß die Minister das Regelwerk absegnen und kein Jota ändern?

Drosdowski: Davon gehen wohl alle aus, die an dem Werk beteiligt waren oder sind. Das nehmen wir insbesondere deshalb an, weil auf der Wiener Konferenz im November 1994 Abgesandte der Kultusministerkonferenz dem Beschluß bereits zugestimmt haben.

SPIEGEL: Was Beamte erklären, bindet die Minister nicht, zumal wenn diese sich - wie in diesem Fall - mit der Sache noch gar nicht befaßt haben, sondern das ihren Staatssekretären überlassen haben.

Drosdowski: Trotzdem kann der Beschluß der Kultusministerkonferenz nur eine Formsache sein, denke ich.

SPIEGEL: Hessens Kultusminister Hartmut Holzapfel sieht es anders, er hält einige Neuerungen für fragwürdig, über die noch diskutiert werden müsse, "weil sie der abstrakten Sprachlogik, aber nicht dem lebendigen Sprachgebrauch entsprechen". Warum sollen die Minister solche Neuerungen nicht diskutieren und verwerfen dürfen?

Drosdowski: Weil dann die Gefahr besteht, daß die ganze Reform scheitert. Was auch immer geändert werden müßte, ob ein Detail oder ein ganzer Komplex, das Ganze ginge wieder von vorne los. Mit den Österreichern und Schweizern müßte neu verhandelt werden, die Wissenschaftler müßten wieder unter einen Hut gebracht werden. Das halte ich für schier unmöglich.

SPIEGEL: Herr Drosdowski, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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