Bundestagssitzung 224 vom 26. März 1998

Rechtschreibreform

 Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:
    Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des
Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten
Detlef Kleinert (Hannover), Norbert Geis, Reinhold Robbe und
weiterer Abgeordneter
    Rechtschreibung in der Bundesrepublik Deutschland
    -- Drucksachen 13/7028, 13/10183 --
    Berichterstattung:
    Abgeordnete Joachim Gres
Peter Enders
Volker Beck (Köln)
Detlef Kleinert (Hannover)
 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache
eine halbe Stunde vorgesehen. -- Ich höre keinen Widerspruch. Dann
ist dies so beschlossen.
(Unruhe)
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolleginnen und
Kollegen, die nicht teilnehmen wollen, den Saal ruhig zu
verlassen.
 Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort dem
Abgeordneten Joachim Gres, CDU/CSU-Fraktion.
Joachim Gres (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Sprache gehört dem Volk. Dieser eigentlich
selbstverständliche Kernsatz des heute zur Abstimmung anstehenden
Gruppenantrags gehört an den Anfang unserer heutigen Diskussion
und bedarf der ausdrücklichen Betonung, da diese Erkenntnis
offenbar nicht überall verbreitet ist.
 Die deutsche Sprache ist jedenfalls keine Verfügungsmasse der
Kultusbürokratie, die sich beliebig der Sprache bemächtigen
könnte; denn das Regelwerk der deutschen Sprache entspringt der
Übereinstimmung in der Sprachgemeinschaft, was als gebräuchlich
und richtig anzusehen ist.
 Die danach richtige deutsche Sprache -- dazu zählt
selbstverständlich auch die Schriftsprache und damit auch die
Rechtschreibung -- läßt sich nicht von einer wie auch immer
gearteten Amtsautorität von oben herab verordnen. Der Konsens der
Sprachgemeinschaft kann von einer dazu berufenen Institution nur
nachgezeichnet, festgestellt und -- falls notwendig -- behutsam
fortentwickelt werden, indem sie sprachliche Tendenzen auffängt
und systematisch stimmig macht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
 Bei der Rechtschreibreform, über die wir heute diskutieren
müssen, ist aber genau das Gegenteil geschehen. Die
Kultusbürokratie hat nach jahrzehntelangem Hin und Her und
verschiedenen Modellwechseln den Kulturministern ein Regelwerk zur
Billigung vorgelegt, das der deutschen Sprache eine Neuordnung
aufzwingt und bei ihren Anwendern nicht die notwendige breite
Akzeptanz findet. Bar jeglicher öffentlicher Rückkopplung wurde
auf dem linguistischen Reißbrett festgelegt, wie in Zukunft
richtig zu schreiben sei.
 Um in der Öffentlichkeit keine breiter angelegte Diskussion über
die sprachliche Sinnhaftigkeit der sogenannten Reform aufkommen zu
lassen, sollte die Rechtschreibreform in den Schulen in einer
höchst intransparenten Form über kultusministerielle Erlasse
eingeführt werden, im Vertrauen auf die normative Kraft des
Faktischen.
 Aber genau hier ist die Grenze des rechtsstaatlich Hinnehmbaren
erreicht bzw. überschritten, eine Grenze, die den Deutschen
Bundestag auf den Plan rufen muß. Ich möchte dabei allerdings gar
keinen Zweifel daran lassen, daß es nicht unsere Aufgabe sein
kann, im Bundestag über sprachliche Einzelheiten der Reform zu
debattieren. Dazu haben soeben erst 51 renommierte Sprach- und
Literaturwissenschaftler eine deutliche Erklärung abgegeben, die
einem Verriß nahekommt.
 Eine vernünftige Systematik der Rechtschreibung ist jedenfalls
auch für mich nicht zu erkennen, wenn zum Beispiel in Zukunft aus
dem Begriff des "Schwarzen Brettes" als Anschlagtafel durch
Kleinschreibung ein schlichtes schwarzes Brett wird, während bei
dem Begriff des "Schwarzen Meeres" alles beim alten bleiben soll.
Ähnliches gilt für den Begriff des "Hohen Hauses", also unseres
Parlaments, das nach den Reformüberlegungen mittels
Kleinschreibung am Ende nur noch ein räumlich hohes Haus ist. Oder
versteht irgendeiner der hier Anwesenden, warum zukünftig
"eislaufen" in zwei Worten geschrieben werden soll, aber
"seiltanzen" ein Wort bleiben soll?
 Heute geht es jedoch nicht um diese Inhalte. Wir sollten das
lassen; damit müssen sich die Fachleute beschäftigen. Uns
interessiert heute vor allen Dingen die Unrichtigkeit des von den
Länderkultusministern gewählten Verfahrens. Heute geht es darum,
daß wir dazu beitragen, vom Verfahren her den Prozeß einer
Rechtschreibreform auf eine rechtsstaatlich gesicherte
einwandfreie Basis zu stellen; denn inzwischen laufen gegen die
jetzige Rechtschreibreform verschiedene Volksbegehren. In
Schleswig-Holstein fehlen für die Herbeiführung eines
Volksbegehrens noch 15 000 Stimmen.
 Außerdem liegen in Sachen Rechtschreibreform inzwischen zirka 30
verwaltungsgerichtliche Entscheidungen vor, die meisten im
Eilverfahren, aber auch bereits zwei in der Hauptsache, nämlich
vom Verwaltungsgericht Berlin und vom Verwaltungsgericht Hannover.
Diese beiden Urteile gehen mit unabweisbarer Begründung davon aus,
daß die Einführung jedenfalls dieser Rechtschreibreform an den
Schulen nur durch ein förmliches Gesetz erfolgen kann; denn nach
der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten
Wesentlichkeitstheorie müssen alle wesentlichen Entscheidungen im
normativen Bereich vom Parlament getroffen werden. Dazu zählen
insbesondere Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten, im
vorliegenden Fall in die Grundrechte von Eltern, Schülern und
Lehrern. Das kann nicht durch einen kultusministeriellen Erlaß
erledigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist mit der
Angelegenheit in dem Berliner Fall bereits befaßt.
 Die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht findet
am 12. Mai dieses Jahres statt. Das Verfassungsgericht will seine
Entscheidung noch vor Beginn des neuen Schuljahres verkünden. Dem
heutigen Votum des Deutschen Bundestages kommt daher große
Bedeutung zu. Wir stehen insoweit in einer besonderen
Verantwortung.
 Die Kultusminister haben in einer kaum nachvollziehbaren
Beharrlichkeit an der ihnen letztlich von den eigenen Bürokraten
als Kuckucksei unterschobenen Rechtschreibreform festgehalten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Sie sind Opfer der Geister geworden, die sie riefen, aber jetzt
nicht mehr loswerden. Es geht deshalb darum, den
Länderkultusministern zu helfen, aus dem von ihnen selbst zu
verantwortenden Dilemma wieder herauszukommen.
 Einige Mitglieder des Rechtsausschusses haben unter dem Vorsitz
von Horst Eylmann viele Gespräche mit Vertretern der
Kultusministerkonferenz geführt. Ich möchte Horst Eylmann hierfür
an dieser Stelle herzlich danken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Dr. Liesel
Hartenstein [SPD])
 Ich habe den Eindruck, daß bei gutem Willen auf allen Seiten am
Ende eine tragfähige Einigung möglich ist. Hierbei ist aber an
folgendem festzuhalten, und zwar unvoreingenommen und ohne
falsches Prestigedenken: Mitglieder der zwischenstaatlichen
Kommission unter dem Vorsitz von Herrn Augst haben die
Rechtschreibreform ursprünglich auf die Räder gesetzt. Im Januar
dieses Jahres hat dann die Kommission Vorschläge zur Reparatur von
eklatanten Mängeln ihres Reformvorschlags unterbreitet, die auch
das Regelwerk betreffen und damit die Unzulänglichkeit dieser
ursprünglichen Reform authentisch nachgewiesen haben.
 Doch die Kultusminister wollen jetzt in einer Art Kopf-durch-die-
Wand-Mentalität an der ursprünglichen Fassung festhalten, obwohl
die Erfinder dieser ursprünglichen Fassung den sprachlichen
Totenschein ausgestellt haben.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleibt denn die Kultur?)
Dies ist für sich allein schon ein grotesker Zustand. Wenn dann
auch noch zwei der bedeutendsten Mitglieder dieser Kommission,
nämlich Professor Munske und Professor Eisenberg, unter Protest
ihren Austritt aus der Kommission erklären, ist das Chaos
komplett. Deshalb kann es im Ergebnis nicht bei den Inhalten der
Rechtschreibreform in der jetzt angekündigten Form bleiben.
 Wie soll es weitergehen? Als Ausweg und Brücke bietet sich meiner
Meinung nach allein der Beschlußvorschlag des Gruppenantrages an,
wie er heute zur Abstimmung steht: Ein unabhängiges Gremium der
Unterzeichnerstaaten der Wiener Absichtserklärung, dem neben
Sprachwissenschaftlern auch Praktiker der Sprache angehören, soll
mit der Beobachtung der Sprachentwicklung beauftragt werden, um
nachzuzeichnen und festzustellen, was in der Sprachgemeinschaft
als Konsens gelten kann. In die Prüfungen und Beratungen ist die
vorliegende Rechtschreibreform einschließlich der bereits in die
Schulpraxis übernommenen Teile einzubeziehen. Bis das
Überprüfungsergebnis vorliegt -- was hoffentlich möglichst rasch
geschieht --, bitten wir die Bundesregierung, die hergebrachte
Amtssprache des Bundes beizubehalten.
 Wegen ihrer von der Kultusministerkonferenz proklamierten
Vorbildfunktion hat die Rechtschreibreform auch eine
gesamtgesellschaftliche Relevanz, der sich der Bundestag heute
stellen muß. Die unterbreiteten Verfahrensvorschläge sind
geeignet, die Verunsicherung nicht nur der betroffenen Schüler,
Eltern und Lehrer, sondern aller Schreibenden und Sprechenden im
deutschen Sprachraum möglichst bald zu beenden und vor allen
Dingen auch die Justitialisierung der Sprach- und
Rechtschreibreform zu stoppen.
(Beifall des Abg. Horst Eylmann [CDU/CSU] und des Abg. Dr.
Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.])
 Ziel unseres Antrages ist damit, das zu verwirklichen, was die
zwischenstaatliche Kommission als ersten Auftrag hatte, nämlich
auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen
Sprachraum hinzuwirken. Wenn der Vorschlag von 1996 nicht spürbar
verbessert wird, kommt es zu einer Spaltung in den Schreibweisen
der Sprachanwender, zu Hausorthographien der Verlage, zu einem
heillosen Durcheinander in einer Frage, die bislang nie ein
Problem war. Nur ein Vorschlag, der von der Mehrheit der Bürger
der schreibenden Zunft akzeptiert werden kann, begründet die
Aussicht, daß die Einheit der Schriftsprache erhalten bleibt, die
wir -- dank Konrad Duden -- seit 1902 als selbstverständlich
ansehen. Es wäre eine gesamtstaatliche Groteske, wenn wir zum
Ausgang unseres Jahrhunderts hinter diese Maxime zurückfallen
würden.
 Ich danke Ihnen sehr herzlich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des
Abg. Reinhold Robbe [SPD])
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat der Abgeordnete
Peter Enders, SPD-Fraktion.
Peter Enders (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich bedauere ich es, daß der
Antrag überhaupt gestellt wurde. Er hat nämlich die Verunsicherung
in der Bevölkerung erhöht, besonders weil Hunderttausende von
Eltern der vorzeitigen Einführung der Rechtschreibreform bereits
zugestimmt hatten und sich aus guten Gründen eigentlich darauf
verlassen konnten, daß die Reform vom Inhalt und vom Verfahren her
in Ordnung war.
 Gleichwohl bin ich froh, daß der Bundestag die Beschäftigung mit
diesem leidigen Antrag heute abschließt. Eines höre ich aus der
Basis im Wahlkreis immer wieder: Habt ihr nichts Besseres zu tun?
Dem kann ich wirklich nur zustimmen. Es gibt viel wichtigere
Themen als dieses.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
 Im übrigen können wir heute sowieso beschließen, was wir wollen.
Das Bundesverfassungsgericht wird so oder so urteilen müssen,
obwohl ich persönlich eigentlich eine abschließende Lösung auf
politischem Wege immer bevorzugen würde.
 Wollte der Antragsverfasser, der Kollege Kleinert, ursprünglich
die Regeln sowohl in der Amtsschreibung wie auch in der Schule
verhindern, so wird in der Beschlußempfehlung unter der Ziffer 3
akzeptiert, daß die Reform im Schulbereich nun bereits eingeführt
ist. Das ist auch gut so. Jede andere Lösung wäre geeignet
gewesen, Zweifel an der Zuverlässigkeit von Politik zu erzeugen.
(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Haben Sie einen anderen
Antrag als ich?)
-- Den Eindruck hatte ich beim Kollegen Gres auch; das muß ich
ganz ehrlich sagen.
 In mehreren Berichterstattergesprächen und im Rechtsausschuß habe
ich immer wieder gefordert, daß nach einigen Jahren überprüft
werden soll, welche neuen Regeln sich bewährt haben. Ich war
nämlich nie ein Freund davon, daß die neuen Regeln automatisch im
Jahre 2005 allein gültig werden. Insoweit kann ich den Kern der
Formulierung des dritten Absatzes akzeptieren, nämlich
nachzuzeichnen und festzustellen, "was als Konsens in der
Sprachgemeinschaft gelten kann".
 An dieser Stelle will ich durchaus zugestehen, daß auch mir
manche neue Regel und manche Wortschreibung völlig gegen den
Strich geht. Insoweit bin ich kein blinder Anhänger der neuen
Schreibung, aber mich stört der Populismus, der hinter diesem
Antrag steckt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD -- Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Den
betreiben doch Sie!)
Wer im Alltag die neuen Schreibweisen nicht verwenden will, ist
damit nicht ungebildet -- das hat das Bundesverfassungsgericht
festgestellt --, sondern ist lediglich ein "Altschreiber".
 Es geht aber bei der Rechtschreibreform vor allen Dingen um die
Jugend. Aus den Schulen wird mir glaubhaft versichert, daß die
Menge der Fehler zurückgeht. Dies war das Ziel der seit Anfang des
Jahrhunderts eingeforderten Reform.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wo es keine Regeln gibt, gibt es auch
keine Fehler!)
Ich bin sehr wohl dafür, erst einmal abzuwarten, ob die
Rechtschreibreform an den Schulen dauerhafte Erfolge bringt. Das
sage ich aber gerade als engagierter Berufsbildungspolitiker.
 Ich will an dieser Stelle kurz begründen, weshalb ich den
Einführungsweg im Schulbereich für rechtlich akzeptabel halte. Bei
der Anhörung des Rechtsausschusses hat sich ja ergeben, daß es
entscheidend darauf ankommt, wie Professor Löwer ausführte, daß
die Regeln für die Schreibenden etwas völlig Neues sind. Wenn das
der Fall sein sollte, benötigt man selbstverständlich ein Gesetz.
Allerdings habe ich Texte in der neuen Schreibung problemlos
gelesen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt keine neuen Buchstaben!)
 Also gilt im Umkehrschluß, daß die vorliegende Reform einer
gesetzlichen Regelung nicht bedarf. Insoweit ist der Erlaßweg in
allen Bundesländern, und zwar in den A- und in den B-Ländern,
korrekt. Die Landtage sind zu dem Thema auf dem laufenden gehalten
worden. Das ist mehrfach bestritten worden. Bezüglich des
Schulbereichs machen wir heute eigentlich das gleiche: Wir
beschäftigen uns mit dem Thema, aber wir können nichts
abschließend entscheiden. Das hat natürlich auch etwas mit
Kompetenzen zu tun.
 Im übrigen noch eine Bemerkung zu den deutschen Schulen im
Ausland. Inhaltlich werden sie über die KMK und nicht durch den
Bund gesteuert -- auch das ist mehrfach falsch übergekommen --,
obwohl der Bund die Schulen finanziert.
 Ich persönlich bin optimistisch, daß das Bundesverfassungsgericht
bis zu den Sommerferien das Verfahren der Kultusminister im
Prinzip bestätigt. Dort, wo es um Umstellung von Inhalten ging,
zum Beispiel bei der Einführung der Mengenlehre und der
Ganzheitsmethode -- ich muß sagen, ich habe beides als Vater noch
in schlimmster Erinnerung --,
(Heiterkeit)
war ein Gesetzesbeschluß nicht erforderlich. Ausgerechnet der
Bayerische Verfassungsgerichtshof hat dies im Fall der Mengenlehre
so entschieden.
 Mit einem anderen Märchen möchte ich an dieser Stelle gleich mit
aufräumen: Von den Antragstellern wird immer so getan, als wäre
der Bund nicht beteiligt gewesen. Der BMI hat die Wiener
Übereinkunft mit unterschrieben. Es bleibt also der Vorwurf, daß
der BMI den Bundestag nicht rechtzeitig von seiner Mitwirkung in
Wien unterrichtet hat, obwohl das BMI in allen Phasen der
Neuregelung dabei war. Im übrigen verweise ich da auf eine Antwort
von Dr. Waffenschmidt auf eine Frage des Abgeordneten Jüttner am
10. März 1997; das können Sie nachlesen. Es gibt einen
Kabinettsbeschluß vom April 1996, mit dem der BMI beauftragt
worden ist, diese Absichtserklärung mit zu unterschreiben. Ich
frage also die Antragsteller, warum sie ihre Attacken nicht gegen
den BMI richten.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])
 Ich wiederhole an dieser Stelle: Es ist eine kleine Reform, und
die ist Sache der Exekutive. Ich muß allerdings auch die Kritik
anbringen: Warum hat man uns nicht früher informiert?
 Hieraus ergibt sich, daß man rechtliche Argumente nur vorschiebt,
um die Reform inhaltlich zu kippen. Wenn es den Antragstellern
wirklich um das Verfahren und nicht um das inhaltliche Ergebnis
gegangen wäre, hätte man sehr viel früher die Beteiligung des
Bundestages einfordern müssen. Viele der Mitunterzeichner des
Antrages sind ja nicht in der ersten Periode hier im Bundestag.
Ich kann bei dem Antrag und bei der Beschlußempfehlung nur
erkennen, daß da eine Kommission gebraucht wird, bei der Fachleute
ein Gesamtkonzept entwickeln. Denn keiner von uns will doch
wirklich über mehrere tausend Wörter und Dutzende von Regeln
abstimmen, wenn möglich -- ich überspitze es jetzt -- in
Einzelabstimmung und -- man kann ja noch einen draufsatteln --
namentlich.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, in der
Volksabstimmung!)
-- In der Volksabstimmung.
 Schlimm ist es natürlich, wenn Kollegen hier aus dem Haus sogar
noch als Obergutachter auftreten. Hier geht es um eine politische
Entscheidung, eine politische Wertung, und die ist erfolgt.
 Dem Antragsverfasser -- jetzt wende ich mich besonders an den
Kollegen Kleinert -- ging es ja nur darum, die Kultusminister
öffentlich vorzuführen. Schließlich stellt die F.D.P. nicht mehr
einen einzigen Kultusminister.
(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist bedauerlich! -- Darauf wird er
antworten!)
-- Ihm gehört das Problem, mir nicht. -- Ich darf die F.D.P. daran
erinnern, daß ihr jetziger Parteivorsitzender, Herr Gerhardt, wie
man mir sagte, in seiner Eigenschaft als KMK-Präsident von 1987
bis 1991 die Reform ganz wesentlich vorangetrieben hat. Das war
noch die Zeit, als man "Kaiser" mit "e" schreiben wollte, "Boot"
mit einem "o" und "Obst" mit "p". Das war Ihre Zeit, Herr
Gerhardt. Das widerlegt vor allem das Argument von Herrn Kleinert,
der seine späte Ablehnung häufig genug damit begründet, -- --
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordneter, gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann?
Peter Enders (SPD): Bitte sehr.
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte, Herr Abgeordneter Eylmann.
Horst Eylmann (CDU/CSU): Verehrter Herr Kollege, wenn Sie den
Initiatoren des Antrags vorwerfen, es sei ihnen darum gegangen,
die Kultusministerinnen und Kultusminister vorzuführen: Wie
beurteilen Sie dann meine fast ein Jahr lang dauernden Bemühungen
als Initiator des Antrages, mit den Kultusministerinnen und -
ministern zu einem Kompromiß zu kommen?
 Wenn Sie selbst, wie Sie hier ausgeführt haben, einiges an dieser
Reform zu kritisieren haben, wie beurteilen Sie dann die jüngste
Haltung der KMK, jegliche Änderungen der Reform,
(Joachim Gres [CDU/CSU]: Notwendige Reparaturen!)
die auch von der Kommission selbst vorgeschlagen worden sind,
abzulehnen?
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
Peter Enders (SPD): Herr Eylmann, zu Ihrer ersten Frage: Ich habe
es sehr hoch angerechnet, daß Sie sich Mühe gegeben haben. Ich
habe immer gesagt: Es gibt in dem Bereich Scharfmacher und solche,
die den Kompromiß wollen. Sie wissen, wir haben uns oft genug
darüber unterhalten. Meine Losung war ja eigentlich: Laßt es erst
einmal laufen, und laßt uns nach drei oder vier Jahren schauen,
was von dieser Reform sich wirklich bewährt hat. Denn ich bin in
der Tat nicht überzeugt, daß sich diese Sache hundertprozentig
durchsetzen läßt. Das war also die ganze Zeit über meine Position.
 Zu Ihrer zweiten Frage: Ich bin nicht darüber glücklich, daß sich
die Kultusminister so verhalten haben, weil das nämlich meine
Intention, für eine begrenzte Zeit Varianten zuzulassen, im Grunde
genommen konterkariert hat. Aber dazu können die anwesenden
Kultusminister selbst etwas sagen.
 Ich darf dann noch einmal auf das Thema Amtsschreibung
zurückkommen. Herr Kleinert, Sie haben natürlich in Ihrem
Interview im "Focus" dieser Woche -- auf gut deutsch gesagt -- ein
neues Faß aufgemacht.
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Was ist denn
drinnen, Bier oder Wein?)
-- Ich meine "neues Faß" im übertragenen Sinne. -- Er zitiert in
diesem Interview die Bundestreue. Die Bundesamtsschreibung als
Verhinderungshebel gegen die Länder zu mißbrauchen ist völlig
unangemessen, zumal diese sich ja einig sind. Er unterschlägt
dabei wissentlich den Beschluß der Ständigen Konferenz der
Innenminister und Innensenatoren der Länder vom Juni 1997. Dort
heißt es im Kern, daß die Neuregelung der deutschen
Rechtschreibung im dienstlichen Verkehr ab 1. August 1998 in den
Ländern anzuwenden ist. Bundestreue ist keine Einbahnstraße, indem
die Länder zu springen haben, wenn der Bund etwas will. Da der
BMI, wie vorhin bereits ausgeführt worden ist, bei der Wiener
Übereinkunft mit unterschrieben hat, würde die Beschlußempfehlung
eine Aufforderung zum Wortbruch sein.
 Im übrigen, wo wollen Sie eigentlich die Rechtsgrundlage für eine
solche Weisung hernehmen? Es gibt keine gesetzlichen Regelungen.
Auch die wollen Sie ja nicht. Es herrscht doch wohl Einigkeit
darüber, daß Sprache und Schreibung Teile der Kultur sind und daß
die Kultur im Grundsatz Länderangelegenheit ist.
Bundeseinheitlichkeit im Wege der Selbstkoordination -- das haben
gerade der Schulbereich und der Medienbereich gezeigt -- kann auch
durch die Länder selbst gewährleistet werden. Daß die
Länderinnenminister ihren Beschluß bezüglich der
Rechtschreibreform freiwillig zurücknehmen, ist nur denkbar, wenn
das Bundesverfassungsgericht die Einführung an den Schulen stoppt.
 Was passiert nun am 1. August 1998 in den deutschen Amtsstuben?
Auf Grund der Tatsache -- ich glaube, das machen Sie sich gar
nicht klar --, daß die neuen Regeln vielerorts nicht nur an den
Grundschulen, sondern auch an weiterführenden Schulen eingeführt
wurden, ist es wahrscheinlich, daß ab 1. August 1998 Auszubildende
für den Beruf des Verwaltungsfachangestellten, die die neuen
Schreibweisen bereits in den Schulen gelernt haben, in die
Amtsstuben drängen. Also ist zu erwarten, daß wir für eine gewisse
Zeit Alternativschreibung -- wohlgemerkt, nicht Beliebigkeit --
bekommen, ob wir es wollen oder nicht.
 Es ist noch einmal die Frage zu stellen, wie wir da herauskommen.
Ich kann nur sagen: Wir sollten einige Jahre nach der Einführung
der Rechtschreibreform noch einmal grundsätzlich überprüfen bzw.
eine Kommission beauftragen, festzustellen, was sich bewährt hat.
Insoweit finde ich es gut, daß in der letzten Beschlußempfehlung
tatsächlich steht, daß nachgearbeitet werden muß bzw. eine
Kommission das zu klären hat.
(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie sollten der
Vorsitzende dieser Kommission werden! -- Joachim Gres [CDU/CSU]:
Dann können Sie ja zustimmen!)
 Abschließend möchte ich sagen, daß die Beschlußempfehlung sehr
interpretationsfähig ist und das selbstgesteckte Ziel, der
Verunsicherung entgegenzuwirken, nicht erreicht. Insoweit müssen
wir doch auf das Karlsruher Urteil warten, wobei ich aus vielen
vorhin ausgeführten Gründen sehr optimistisch bin.
 Auch ich hätte mir gewünscht, daß in dem Antrag ein kurzer
Vorschlag hinsichtlich des Verfahrens bei künftigen wirklichen
Reformen enthalten wäre. Außer der Aufforderung an die
Kultusminister, sich ein Verfahren auszudenken, wie man die
Fortentwicklung der Sprache in den Griff bekommen will, und dem
Bremsen bei der Amtsschreibung des Bundes ist in dem Antrag im
Prinzip nur heiße Luft und viel Lyrik enthalten. Wichtig ist, daß
die Schulen, die die neue Schreibung schon eingeführt haben, mit
ihr unbesorgt weiterarbeiten können. Im übrigen sind somit die
Ausgaben für die Schulbücher -- das ist vor allen Dingen für die
Eltern und die Kommunen wichtig -- nicht umsonst gewesen.
 Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Wort dem
Abgeordneten Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
(Joachim Gres [CDU/CSU]: Er spricht nur für sich selbst! Der
Häfner ist ganz anderer Meinung!)
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Gres,
diesbezüglich kann ich Sie beruhigen: Wir haben in der Fraktion
eine Probeabstimmung gemacht. Da gab es eine Stimme für Ihren
Antrag. Ich denke, aus gutem Grund gab es nicht mehr.
 Unsere Fraktion bejaht grundsätzlich das Ziel der
Rechtschreibreform, die deutsche Schriftsprache zu vereinfachen
und schwer einsehbare Regeln zumindest nicht mehr mit dem Rotstift
in den Schulen durchsetzen zu wollen. Ich denke, das dient den
Schülerinnen und Schülern beim Erlernen der Schriftsprache. Das
macht die deutsche Sprache auch im Ausland wieder etwas
attraktiver, die gemeinhin als viel zu schwer erlernbar gilt. Da
gibt es einiges zu tun, damit die deutsche Sprache im
internationalen Verkehr nicht jegliche Bedeutung verliert. Deshalb
bin ich dankbar dafür, daß man sich dieser Aufgabe der
Rechtschreibreform gestellt hat.
 Die Debatte, wie wir sie in den letzten Wochen hier im Bundestag
geführt haben, geht eigentlich am Kern der Problematik vorbei. Ich
hätte mir gewünscht, daß man in dem Antrag ein Verfahren
vorschlägt und das auch an die Kultusministerinnen und
Kultusminister heranträgt, das die Frage näher beleuchtet: Wie
gehen wir mit den alten Schreibweisen um? Ich habe da, auch von
den Befürwortern der Reform, Töne gehört, die mir nicht gefallen
haben, weil sie illiberal sind. Ich plädiere dafür, daß wir sagen:
Das, was heute richtig ist, kann künftig nicht falsch sein und
soll auch in den Schulen nicht als veraltet oder unrichtig
angestrichen werden.
 Wenn man den Grundgedanken der Vereinfachung ernst nimmt, kann es
nur so sein, daß die vereinfachte Schreibweise zukünftig gelehrt
wird und die Schüler sie grundsätzlich schreiben, daß es aber
selbstverständlich als richtig bewertet werden muß, wenn die
Schüler, weil sie alte Bücher oder Literatur lesen, die die
anderen Schreibweisen benutzen, dann diese Schreibweisen in ihren
Aufsätzen und Diktaten verwenden.
 Der Appell, die liberale Umsetzung der Reform an den Schulen zu
befördern und auch zu sagen, daß die Wiener Absichtserklärung
nicht das letzte Wort bezüglich des Ergebnisses sein kann, wie
sich die deutsche Schriftsprache weiterentwickelt, wäre die
richtige Aussage einer Beschlußempfehlung gewesen, weil sie
tatsächlich die Diskussion weitergeführt hätte, die Ängste, die in
der Bevölkerung bezüglich der weiteren Entwicklung der
Schriftsprache bestehen, abgebaut hätte und wir trotzdem gemeinsam
vorangekommen wären.
 Aber darum ging es vielen Antragstellerinnen und Antragstellern
bei der Sache nicht. Einige bemühten sich um Vermittlung; das
erkenne ich auch an. Andere haben allerdings die Intention gehabt,
daß es keine Rechtschreibreform geben soll, nicht diese und auch
nicht irgendeine andere, weil sie hier stehenbleiben wollen, die
Probleme, die sich hier stellen, einfach nicht wahrhaben wollen,
immobil sind und programmatisch für den Reformstau in Deutschland
stehen. Die F.D.P. hat sich in der Diskussion in dieser Richtung
ganz besonders verdient gemacht. Sie ist die Antireformpartei in
puncto Rechtschreibung.
(Peter Enders [SPD]: Und in vielen anderen Bereichen!)
Ich wundere mich, daß ich das am Thomas-Dehler-Haus noch nicht
lesen konnte; da steht noch immer ein anderer Spruch.
 Worum geht es jetzt bei der vorliegenden Beschlußempfehlung, die
wir heute verabschieden wollen? Da muß ich sagen: Da geht es nicht
um viel. Da liegt etwas ganz anderes vor als der ursprüngliche
Antrag. Es ist ein rechtliches und politisches Nullum. Was haben
wir bei der Anhörung nicht alles über die wichtigen Rechtsfragen
gehört und darüber, daß diese Reform auf unsicheren Füßen steht.
Davon finde ich in der heute vorliegenden Beschlußempfehlung kein
Wort. Allgemeine Erwägungen, gegen die man nichts sagen kann, wie
"Die Sprache gehört dem Volk" -- wer wollte das bestreiten? --,
(Joachim Gres [CDU/CSU]: Sie! Mit Ihrem Beitrag!)
finden wir da, viel mehr leider nicht.
 Die Antragstellerinnen und Antragsteller haben den Rückzug in der
Sache angetreten. Das möge die Wogen bei diesem Thema in den
nächsten Wochen glätten. Sie haben einen konkreten Vorschlag
gemacht, gegen den man auch nichts einwenden kann: Es soll ein
Koordinierungsgremium zur Begleitung geben. Ich habe es aus der
Ecke der Reformbefürworter und der Kultusminister so verstanden,
daß man bei der Umsetzung der Reform in den nächsten Jahren
durchaus eine fachliche Begleitung will. Daß man alle von Sprache
besonders betroffenen Personengruppen und Berufsstände mit
beteiligt, ist in unserer partizipativen Demokratie ohnehin eine
Selbstverständlichkeit.
 Ferner fordern Sie einen Bericht der Bundesregierung über die
Fortentwicklung. In der Tat: Da gibt es allerdings Mängel. Wenn
Sie -- ich gehörte dem Haus nicht an, als das in der Exekutive zur
Diskussion stand -- damals nicht informiert wurden, dann wirft das
allerdings ein bezeichnendes Licht auf Sie, weil Sie der
Bundesregierung so ein Verhalten durchgehen lassen. Der
Bundesinnenminister hat die Wiener Absichtserklärung
unterschreiben lassen. Er hätte dem Parlament freilich vorher
sagen sollen, was darin steht, und daß er beabsichtigt, diese
Erklärung unterschreiben zu lassen. Das würde zum guten Ton
zwischen Parlament und Exekutive gehören. Daß Sie anmahnen, daß
das in Zukunft anders werden soll, ist positiv. Ich kann Ihnen
versprechen: Die zukünftige rotgrüne Landesregierung -- ich meine,
Bundesregierung -- wird sich daran halten.
(Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
-- Ich wohne in einem Land, in dem die Landesregierung rotgrün
ist. Deswegen bin ich den besseren Umgang zwischen Parlament und
Regierung gewohnt und hoffe, daß dieser auch in Bonn bald
einzieht.
 Der Antrag ist im wesentlichen heiße Luft. Für heiße Luft mache
ich mir die Schuhe nicht mehr zu. Deshalb wird unsere Fraktion den
Antrag ablehnen. Aber es ist letztendlich einerlei, ob man ihn
beschließt oder ablehnt. Für die Rechtschreibreform ändert sich in
der Substanz nichts.
 Der einzig gefährliche Satz, mit dem Sie versucht haben, Unruhe
in die Debatte zu bringen, ist ein Satz am Ende der
Antragsbegründung. Antragsbegründungen, das muß man vielleicht für
die Öffentlichkeit hier feststellen, sind nicht Gegenstand der
Beschlußempfehlung. Jeder kann mit jedweder Begründung einem
Antrag zustimmen oder ihn ablehnen. Sie schlagen doch allen
Ernstes vor:
Bis das Ergebnis dieser Überprüfung vorliegt,
-- die wir durchaus begrüßen --
ist die hergebrachte Amtssprache des Bundes beizubehalten.
 Sie haben vorhin von Hausorthographien gesprochen, Herr Kollege
Gres. Das ist die Einführung der Kanzleisprache des Bundes. Das
ist ein Rückschritt in mittelalterliche Verhältnisse und ist in
der Sache völlig albern. Es darf nicht sein, daß der Bund eine
andere Sprache als Amtssprache haben will als die, die wir an den
Schulen haben. Deswegen muß das, was an den Schulen gilt, auch in
der Amtssprache des Bundes umgesetzt werden. Ich hoffe, daß die
Bundesregierung genau weiß, daß dieser Satz nur in der Begründung
steht. Auch wenn der Antrag heute hier eine Mehrheit finden
sollte, ist es deshalb nicht der Wille des Deutschen Bundestages,
daß sie solche albernen Kapriolen zum Gegenstand des Handelns der
Exekutive macht.
 Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt das Wort dem
Abgeordneten Detlef Kleinert, F.D.P.-Fraktion.
Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen! Meine Herren! Ihnen geht die Reform nicht weit
genug in Richtung auf die Beliebigkeit, Herr Beck. Das haben wir
verstanden. Wir sind aber nicht der Meinung, daß das, womit wir
uns alle verständigen, daß das, was uns letzten Endes verbindet
und unsere Gedanken zum Ausdruck bringen soll, in beliebiger Form
-- mal so, mal so -- gestaltet werden kann. Darum werden uns Ihre
Wege schon überhaupt nicht weiterführen können.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
 Um sich zu erklären, warum Sie in einer so wichtigen
Angelegenheit wie der unserer Muttersprache so handeln, muß man
sehr viel Mühe aufbringen. Man muß von Anfang an wissen, daß es
sich um etwas ganz Wichtiges und im Sinne der obergerichtlichen
und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch um etwas sehr
Wesentliches für Volk und Gesellschaft handelt. Das ist der Grund,
warum wir unseren Antrag gestellt haben. Das ist der Grund, warum
wir heute zum wiederholten Male diskutieren.
 Diejenigen, die das viel zu spät begriffen haben und die jetzt
liebenswürdigerweise angereist sind, Frau Kultusministerin und
Herr Kultusminister, haben sich all den Bemühungen unseres
Ausschußvorsitzenden, Herrn Eylmann, widersetzt, zu irgendeiner
vernünftigen Regelung zu kommen. Sie haben insbesondere auf Punkt
und Komma obsternatsch darauf beharrt -- egal wie unsinnig die
Kommas sein mögen --, daß an dieser von ihnen bzw. ihren
Mitarbeitern ersonnenen, ihnen dann untergeschobenen Reform nichts
mehr geändert werden darf, weil sie ansonsten einen
Gesichtsverlust befürchten
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
und weil sie befürchten, daß die staatsrechtlich nun wirklich ein
Nullum darstellende Konferenz der Kultusminister bei dieser
Gelegenheit etwas von der Macht verliert, die ihr im Laufe der
letzten 50 Jahre -- das ist ja kürzlich anekdotisch gefeiert
worden, weil die Inhalte nicht so viel hergegeben haben --
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
zugekommen ist und die möglichst erhalten werden soll.
 Vereinfachen wäre ja ganz erstrebenswert, wenn es nicht mit
Verwirrung erkauft würde und wenn -- was noch schlimmer ist --
Vereinfachen hier nicht mit Verarmen zusammenklingen würde.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Das, was wir überhaupt nicht gebrauchen können und was wir nicht
wollen, ist eine Verarmung der deutschen Sprache, nur damit sie
dem einen oder anderen Legastheniker die Sache etwas erleichtert.
Das kann nicht das Ziel sein.
(Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU -- Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
 Wieso 16 Kultusministerien -- alle mit kriegsstarken
Rechtsabteilungen; obwohl sie das in den Justizministerien
abfragen sollten, da würden sie vermutlich auch besser bedient --
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
nicht dahinterkommen, daß eine Reform von so umfassender, von so
schwerwiegender Bedeutung wegen des Wesentlichkeitsgrundsatzes
nicht ohne eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden kann, ist
wirklich erstaunlich.
(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das können nur Juristen sagen!)
 Es ist nicht nur erstaunlich, es ist auch sehr bedauerlich, daß
diejenigen, die für die politische Bildung unserer Jugend ein
großes Stück Verantwortung haben, mit Grundbegriffen unserer
Demokratie so umgehen, wie das in diesem Falle geschehen ist.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
 Bei viel weniger gewichtigen Themen wird hier und später beim
Bundesverfassungsgericht sehr sorgfältig abgewogen, ob die Regeln
aus Art. 20 und 28 unseres Grundgesetzes eingehalten worden sind.
(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie haben wirklich keine anderen
Sorgen!)
Sie sind hier keineswegs eingehalten worden. Da Herr Enders
hoffnungsfroh auf das Bundesverfassungsgericht blickt, kann ich
nur sagen: Es wird wohl so kommen.
 Wir werden mit unserer Debatte, insbesondere mit der Anhörung
herausragender Staatsrechtler, mit den Zeugnissen, die daraus für
die weitere Debatte gewonnen worden sind, und mit dem, was wir
dazu gesagt haben und was wir hier heute zu beschließen gedenken,
(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Rechtsgeschichte machen!)
dazu beitragen, daß an dieser Stelle wieder klargemacht wird, daß
in einer so wichtigen Frage die Macht wirklich vom Volke ausgeht -
- gerade dann, wenn es sich um die Sprache handelt, die dem Volk
gehört.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieser Gegenstand ist eine sehr gute Gelegenheit, im Sinne des
Hamlet-Monologs etwas gegen den Übermut der Ämter zu tun.
 Herzlichen Dank.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Gerald
Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat der Abgeordnete Dr.
Uwe-Jens Heuer, PDS.
Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Das, was Herr Gres und Herr Kleinert hier gesagt haben,
erweckt den Eindruck, als ob die Sprache in größter Gefahr sei.
Herr Gres hat gesagt, es gehe darum, daß hier etwas, was dem Volk
gehöre, jetzt eine Verfügungsmasse der Kultusminister werde. Herr
Kleinert hat entsprechend formuliert.
 Ich möchte erst einmal sagen, daß Vertreter einer Koalition, die
nicht bereit sind, Volksbegehren und Volksentscheid anzuerkennen,
also dem Volk dieses Recht zu geben, in dieser Frage eigentlich
schweigen sollten.
(Beifall bei der PDS)
 Es geht hier übrigens nicht um die Sprache; es geht um das
Schreiben. Das ist doch wohl ein Unterschied. Ich persönlich kann
mit der Rechtschreibreform leben. Sie ist nach meiner Meinung
maßvoll. Ich sehe keine Gefahr, daß meine Enkel und die Ihren,
wenn sie nach den neuen Regeln lernen, die Romane von Thomas Mann,
die Stücke von Bertolt Brecht oder die Gedichte von Rainer Maria
Rilke nicht mehr lesen können.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
Die Gefährdung der Sprache liegt in meinen Augen vielmehr in dem
Einfluß des Fernsehens und der Computer, liegt vielmehr in der
bürokratischen Amtssprache. Im Vergleich zu dem, was dem Volk an
unverständlichen Gesetzestexten zugemutet wird, ist die
Rechtschreibreform ein heilsam-harmloses Unternehmen.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
 Nachdem allerdings die Gerichte und das Bundesverfassungsgericht
damit befaßt worden sind, wollen nun die Antragsteller auch etwas
dazu sagen. Sie hätten es lieber bleiben lassen sollen; denn die
Kulturhoheit und damit auch die Sprachpflege sind Ländersache.
Eine Bundeszuständigkeit ist nicht gegeben.
 Was hier zur "Natur der Sache" und zum Wesensgehalt gesagt worden
ist, halte ich, offen gesagt, für Unsinn. Das Argument, das Herr
Rupert Scholz im "General-Anzeiger" vom 21. Februar 1997 gebraucht
hat, die 16 Länder könnten 16 verschiedene Sprachen einführen, ist
doch wohl lächerlich. Die Rechtschreibreform zeigt ja wohl, daß
sich 16 Länder über eine Schreibweise einigen können und auch
geeinigt haben.
 Die Beschlußempfehlung löst das Problem nicht; sie ist eher
kontraproduktiv. Im Grunde läuft sie darauf hinaus, die Reform auf
unabsehbare Zeit abzublasen. An der Schule müssen Regeln für das
Schreiben gelten, gelehrt und gelernt werden, und Regeln und deren
Änderungen müssen nun einmal erlassen werden. Große Sprüche über
den Konsens der Sprachgemeinschaft helfen den Lehrern vor Ort
nicht. Jetzt soll verzögert werden; im Grunde soll nichts
passieren.
 Nun wird erklärt, die Amtssprache sei bis zum Ergebnis einer
Überprüfung beizubehalten. Die Verfasser haben sich nicht getraut,
diesen Befehlston im Beschlußteil anzuschlagen. Aber sie sind
offenbar der Meinung, daß zwischen Rechtschreibung im Amt und in
der Schule kein Gleichklang herrschen muß.
 Nach meiner Meinung wäre es vernünftig, wenn unter der
Federführung der Kultusminister der Länder noch einmal über diese
Fragen diskutiert und versucht würde, sich über eventuelle
Modifikationen zu einigen. Im übrigen bin ich aber der Meinung,
daß es bedeutsamere Dinge gibt, vor allem die Bekämpfung der
Massenarbeitslosigkeit.
(Beifall bei der PDS)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Wort der
Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-
Westfalen, Anke Brunn.
Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Der schon mehrfach zitierte Satz aus Ihrem
Antrag, die Sprache gehöre dem Volk, ist eigentlich eine
Selbstverständlichkeit. Wer wollte dem widersprechen? Aber das
Problem beginnt ja dort, wo bei der geschriebenen Sprache der
Staat ins Spiel kommt. Das ist seit alters her in der Schule und
bei der sogenannten amtlichen Sprache der Fall. Lassen Sie es mich
ganz schlicht sagen: Es muß eine Verständigung darüber geben, wo
die Lehrerinnen und Lehrer ein meist rotes "f" oder ein Häkchen an
einen Schülertext machen müssen. Diese Korrektur kann und darf
nicht in das Belieben des einzelnen Lehrers gestellt werden,
sondern hierfür muß es jedenfalls nach überwiegender europäischer
Auffassung Spielregeln geben.
(Joachim Gres [CDU/CSU]: Die gab es doch bis jetzt schon! Über
Jahrzehnte!)
 Die deutsche Rechtschreibung war jedenfalls in der Schule auch
vor der Wiener Erklärung zur Neuregelung der Rechtschreibung im
Juli 1996 nicht gerade unreglementiert. Im Gegenteil: Jeder, der
die 136 Regeln der "Richtlinien zur Rechtschreibung,
Zeichensetzung und Formenlehre" des Duden wirklich kennt, wird
zugeben, daß man sich bei allen anzuerkennenden Bemühungen der
Duden-Redaktion schon die Frage nach der Logik und nach der
Systematik unserer Rechtschreibung stellen konnte. So ging es in
der Reformdebatte auch um größere Überschaubarkeit der Regeln, um
weniger Regeln und um weniger Ausnahmen von den Regeln. Es ging
darum, daß Kinder und Jugendliche -- das darf man auch in der
Debatte im Bundestag nicht vergessen -- die deutsche
Rechtschreibung besser und einfacher lernen können. Das war der
Ausgangspunkt.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])
Es ging ferner darum -- meine Damen und Herren, das halte ich
ebenfalls für wichtig --, daß die deutsche Sprachgemeinschaft auch
bei der Schreibweise zusammenbleibt.
 Deshalb hat sich die Kultusministerkonferenz, hier vor allem als
Schulministerkonferenz verstanden, dieses Themas angenommen. Schon
vor elf Jahren haben Bund und Länder -- die
Kultusministerkonferenz und der Bundesinnenminister -- gemeinsam
das Institut für die deutsche Sprache beauftragt, vereinfachte
Rechtschreibregeln zu erarbeiten. Zunächst stand sogar eine große
Reform zur Debatte, die auch die Groß- und Kleinschreibung
einbezogen hätte. Um so mehr überrascht es jetzt, daß die nun
gefundene kleine Reform so lange nach ihrer Beratung, nach
Beschlußfassung und nach Unterzeichnung von Abkommen Aufsehen
erregt.
 Zu Recht hat der langjährige Leiter der Duden-Redaktion die
Neuregelung als aktualisierte Pflege der Rechtschreibung
bezeichnet. Manch spät aufgekommene Kritik überrascht besonders,
weil die Fachverbände und die Öffentlichkeit von Anfang an nicht
nur informiert, sondern auch beteiligt waren. Auch die Parlamente,
jedenfalls die meisten Länderparlamente, waren einbezogen und
haben sich dort, wo sie das für nötig erachtet haben, in
Resolutionen und Beschlußfassungen dazu geäußert.
 Nun mag man im nachhinein darüber streiten, ob die Einbindung
wirklich breit genug war und ob sie immer in der richtigen Form
geschehen ist. Auch über die Streitkultur im Laufe der Debatte
möchte ich an dieser Stelle nicht richten. Das gebietet auch mein
Respekt vor dem Bundestag.
 Niemand kann bestreiten, daß es Verunsicherungen gab und daß auch
verunsichert wurde. Was aber jetzt auf jeden Fall vermieden werden
sollte und auch vermieden werden kann, ist eine neue und
zusätzliche Verunsicherung. Darum bitte ich auch den Bundestag.
(Beifall bei der SPD)
 Die Verunsicherung würde darin bestehen, daß man ohne Not die
Einführung der neuen Rechtschreibung zum 1. August 1998 wieder in
Frage stellt. Ich denke, wir müssen nach vorn blicken. Wir müssen
gemeinsam versuchen, die Unsicherheit, die durch die erneute
öffentliche Debatte hervorgerufen worden ist, wieder auf eine
sachliche Gesprächsebene zu bringen und einen konsensbildenden
Prozeß in Gang zu setzen.
 Wir sollten bis nach dem Ende der Übergangsfrist, also bis zum
Jahre 2005, beobachten, wie sich die Neuregelungen in der Praxis
bewähren. Wir sollten Kritik aufgreifen und feststellen, wo
Korrektur- und Nachbesserungsbedarf besteht. Übrigens ist mir eben
zumindest in einem Teil der Debatte aufgefallen, daß die
Übergangsregelung, die in der Vereinbarung bis zum Jahre 2005
vorgesehen ist, übrigens sogar mit einer Verlängerungsmöglichkeit,
hier so wenig eine Rolle gespielt hat.
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Ministerin, gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Braun?
 Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen): Ja, gern.
Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Frau Kultusministerin,
würden Sie uns liebenswürdigerweise mitteilen, in welcher
Rechtschreibung die Erkenntnisse niedergelegt sind, die Sie uns
gegenwärtig freundlicherweise mitteilen?
(Heiterkeit bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
 Ministerin Anke Brunn (Nordrhein-Westfalen): Ich mache von der
Möglichkeit Gebrauch, ganz in meiner traditionellen
Rechtschreibung zu schreiben. Ich habe vor, das auch in Zukunft so
zu machen.
(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist erhellend!)
 Die traditionelle Rechtschreibung, Herr Kollege, wird keineswegs
über Nacht ersatzlos abgeschafft; Sie haben sich mit Ihrer
Zwischenfrage genau an der richtigen Stelle gemeldet. Diese ist
nämlich nicht abgeschafft, sondern die gewohnte Rechtschreibung --
da kann ich Sie alle trösten -- bleibt weiterhin zulässig -- und
nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch.
 Unabhängig von der aktuellen Debatte, unabhängig davon, was wir
hier debattieren, werden sich Sprache und Schreibweise
weiterentwickeln. Dem werden auch die Schreibregeln folgen. Das
ist eine Selbstverständlichkeit. Übrigens gilt diese
Übergangsregelung bis zum Jahre 2005 in den Schulen und Behörden.
Bis zum Ablauf dieser Übergangsfrist kann man Erfahrungen sammeln
und Rat einbringen.
 Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages schlägt nun ebenso
wie die Amtschefs der KMK vor -- das halte ich für einen sehr
wichtigen Schritt --, bei der weiteren Entwicklung der deutschen
Rechtschreibung Schriftsteller, Journalisten, wissenschaftliche
Institute und sonstige mit der Sprache und über die Sprache
Arbeitende kontinuierlicher in die weitere Diskussion mit
einzubeziehen. Ich finde, das sollte geschehen. Das ist ein
entscheidender positiver Beitrag.
 Die Arbeit der internationalen Kommission sollte damit nicht
ersetzt, sondern konstruktiv begleitet werden. Denn sie haben
unterschiedliche Sichtweisen. Darüber, wie das Verfahren
vernünftigerweise ablaufen kann, wird man Regeln finden können.
Wir wollen keine Reform hinter verschlossenen Türen. Das kann ich
für alle Kultusminister sagen. Wir haben sie übrigens nie gewollt.
Wir wollen die Erfahrungen mit der neuen Rechtschreibung offen
austauschen und breit diskutieren, damit am Ende der
Einführungsphase Regeln stehen, die eine breite Akzeptanz finden.
(Beifall bei der SPD)
 Schon bisher kann man nämlich feststellen -- das sollte auch hier
in der Debatte gesagt werden --, daß überall dort, wo die neuen
Regeln in den Schulen praktiziert werden, außer den bekannten
juristischen Interventionen nur selten praktische Probleme
aufgetreten sind.
 Unsere österreichischen Freunde, die die neuen Regeln schon etwas
länger praktizieren, haben jedenfalls berichtet, daß die Schüler
bei ihnen 50 Prozent weniger Kommafehler und 10 Prozent weniger
Schreibfehler machen. Sie haben das positiv hervorgehoben.
 Übrigens -- das bitte ich Sie auch zu berücksichtigen --:
Lehrerverbände, Bundeselternrat und Schulbuchverlage sind sich
darüber einig, daß es unverantwortlich wäre, die Neuregelung jetzt
zurückzunehmen. Das sollte im übrigen auch für die amtliche
Schreibweise gelten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es ist deshalb gut, daß die Beschlußempfehlung des
Rechtsausschusses nicht mehr verlangt, die Einführung in die
Amtssprache des Bundes rückgängig zu machen.
(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das steht unter Ziffer 4!)
-- Ich weiß es nicht; ich habe es gelesen, Herr Kollege. -- In
gewissem Widerspruch dazu steht allerdings der letzte Satz in der
Begründung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses,
(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Nein, der hebt das nur
hervor!)
wonach die hergebrachte Amtssprache des Bundes beizubehalten ist.
 Nun weiß ich, daß eine Begründung nicht Bestandteil des
Beschlusses ist; aber dieser Satz könnte jedenfalls zu neuen
Mißverständnissen Anlaß geben. Zwar bleibt es der deutschen
Bundesregierung vorbehalten, zu entscheiden, welche
Schlußfolgerungen und Konsequenzen sie aus dem Beschluß des
Bundestages zu ziehen gedenkt. Wenn sie aber die Neuregelung nicht
zuließe, dann wäre sie die einzige Unterzeichnerin der Wiener
Absichtserklärung vom 1. Juli 1996, die die damit eingegangenen
Verpflichtungen nicht termingerecht einführte.
(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Sie vergessen das Land Ihres
Kanzlerkandidaten!)
-- Nein, die machen es auch zum 1. August -- Österreich, das
Fürstentum Liechtenstein und die Schweiz beabsichtigen nach mir
vorliegenden Informationen, die Neuregelung zum 1. August 1998
auch in ihre Amtssprachen einzuführen. Einen gleichlautenden
Beschluß haben auch die Innenminister der deutschen Länder gefaßt.
 Es könnte also die merkwürdige Situation eintreten, daß die
Amtssprache unserer deutschsprachigen Nachbarländer ebenso wie die
Länder der Bundesrepublik Deutschland die neuen Regeln der
Rechtschreibung übernehmen, die Bundesregierung aber, die das
Abkommen unterzeichnet hat, jedoch nicht. Das würde nur neue
Unsicherheit auslösen.
 Übrigens, auch überzeugte Vertreter der Reform sagen offen, daß
die neuen Regeln noch verbessert werden können. Deshalb finde ich
es so sinnvoll, gemeinsam mit unseren Nachbarn bis zum Jahre 2005
die in der Vereinbarung enthaltene Option für weitere
Veränderungen und Verbesserungen dieser Reform offenzuhalten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
 Bis dahin sollten wir einen konsensstiftenden Prozeß in Gang
halten, in dem Schriftsteller, Journalisten, Publizisten, Verlage,
Sprachforscher und Germanisten die Einführung der neuen
Rechtschreibung in der Übergangszeit beobachten und begleiten.
(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das kommt spät! Sehr spät!)
Wir sollten dann das Gute und für richtig Erkannte bewahren, und
dort, wo Korrekturbedarf besteht, sollten wir dann auch
Verbesserungen vornehmen.
 Ich appelliere wirklich an Sie, meine Damen und Herren: Blicken
Sie nach vorne, und nehmen Sie diese Debatte als Anstoß zu einer
neuen Konsensstiftung! Streckenweise habe ich das in der Debatte
auch schon so erfahren.
 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt das Wort dem
Staatsminister für Wissenschaft und Kunst des Freistaates Sachsen,
Professor Dr. Hans-Joachim Meyer.
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute fiel schon das Wort
"Groteske". In der Tat, der Sturm gegen die Neuregelung der
Rechtschreibung wird einmal in die historische Erinnerung als eine
der Grotesken der deutschen Geschichte eingehen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD -- Widerspruch
des Abg. Joachim Gres [CDU/CSU])
-- Herr Gres, Sie müssen nicht dazwischenschreien. Hören Sie doch
zu, dann lernen Sie etwas!
(Widerspruch bei der F.D.P.)
 Man muß sich einmal in aller Ruhe klarmachen, um was es hier
geht. Seit 1950 wird in Deutschland über die Notwendigkeit
gesprochen, die Rechtschreibung neu zu regeln.
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Auf so was haben wir gewartet!)
Das kann ja auch niemanden verwundern, der sich klarmacht, daß die
Regelung der Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt ein halbes
Jahrhundert zurücklag.
 Wie immer, wenn eine Reformnotwendigkeit besteht, sind Revoluzzer
und Radikalinskis zur Stelle.
(Ina Albowitz [F.D.P.]: Ja, so sehen Sie aus!)
Ihre Vorschläge, die Vorschläge, die 1950 und in den Folgejahren
gemacht wurden, hätten uns in der Tat von der kulturellen und
literarischen Tradition abgeschnitten.
 Die wildesten Vorschläge kamen übrigens aus jener akademischen
Profession, aus der uns jetzt die lautesten Vorwürfe erreichen,
wir würden die Einheit und Tradition der Schriftsprache gefährden.
Es war die Kultusministerkonferenz, die 1984 -- übrigens unter der
Präsidentschaft von Georg Gölter -- diesem Treiben einen Riegel
vorschob. Es war die Kultusministerkonferenz, die bis zum
endgültigen Beschluß über die Neuregelung sorgfältig darauf
achtete, daß die Regelung folgenden Kriterien genügen muß:
erstens: Augenmaß und Zurückhaltung, um die deutsche
Schrifttradition zu bewahren, zweitens: Größere Handhabbarkeit und
geringere Fehleranfälligkeit der neuen Regeln, und schließlich:
ein Höchstmaß von Übereinstimmung mit allen Ländern des deutschen
Sprachraums.
 Genau dies bringt die neue Regelung: erstens eine größere
Übersichtlichkeit und Systematisierung zwischen vielen Wörtern,
die bisher nicht wenige Menschen wegen für sie nicht erklärbarer
Widersprüche zur Verzweiflung brachten. Daß einige der neuen
Schreibungen nicht der Etymologie, nicht dem geschichtlichen
Ursprung dieser Wörter, entspringen, ist überhaupt kein Argument
gegen die Reform. Das heutige Wortverständnis muß genutzt werden.
 Ich will überhaupt nicht verhehlen, daß ich als Philologe nicht
ohne Verständnis für diese Kritik und für diese Bedenken bin. Aber
ich weiß auch, daß man diejenigen in Deutschland, für die es einen
Sinn macht, daß man "behende" mit "e" statt mit "ä" schreibt,
"Tolpatsch" nicht mit Doppel-l, daß man "Stengel" mit "e",
"überschwenglich" mit "e", aber "Überschwang" mit "a" schreiben
muß, bequem in diesem Saal versammeln kann.
 Selbst unter den Germanisten ist es nur ein geringer Prozentsatz,
für die dies noch einen Sinn ergibt. Für die übergroße Mehrheit
der Sprachnutzer sind diese Schreibungen heute beziehungslos. Eine
Orthographiestunde ist kein germanistisches Seminar. Da kann man
lernen, welche Veränderungen es in der deutschen Schreibung
gegeben hat.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
 Zweitens. Die Neuregelung führt bei einer größeren Anzahl von
Fremdwörtern zu einer dem Deutschen näherstehenden Schreibung.
Auch hier kann man sich durchaus auf den Standpunkt stellen, daß
das dem Trend zur Internationalisierung zuwiderläuft. Aber wer von
Ihnen schreibt denn Fremdwörter grundsätzlich so wie in der
Ursprungssprache, so er es überhaupt könnte? Wer auch vor der
Neuregelung "Foto" mit "f" oder "Komitee" mit dieser merkwürdigen
englisch-französischen Mischung geschrieben hat
(Joachim Gres [CDU/CSU]: Das ist eine Zumutung!)
-- ja, es ist eine Zumutung, sich einmal die Wahrheit anzuhören --
, der kann gegen den Grundsatz der Eindeutschung überhaupt keine
Einwände erheben. Was sich von diesen neuen Schreibungen bewähren
wird, werden wir sehen.
 Jedenfalls wird der Anteil der durch die erste und zweite
Änderung erfolgten Veränderungen im deutschen Wortschatz maßlos
überschätzt. Es sind 185 Wörter, gleich 0,5 Prozent des
Wortschatzes.
 Drittens. Die Neuregelung bringt segensreiche und längst
überfällige Vereinfachungen im Bereich der Groß- und
Kleinschreibung; denn die bisherigen Regelungen der Groß- und
Kleinschreibung waren -- freundlich gesagt -- alles andere als
stimmig. Was würde wohl dabei herauskommen, wenn wir die hier
versammelten Gegner der Neuregelung der Rechtschreibung einmal
dazu auffordern würden, in einem Diktat ihre sichere Beherrschung
der Regeln der Groß- und Kleinschreibung nachzuweisen?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
-- Frau Präsidentin, ich bin ganz sicher, der Bundestag könnte
hier eine Textsammlung zusammenstellen, die den deutschen
Schulkindern zum Weihnachtsfest eine große Freude bereiten würde.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
 Wie schreiben Sie denn beispielsweise in dem Satz "Es wäre das
beste, wir würden uns heute über wichtigere Themen unterhalten"
"das beste" und warum, mit welcher Begründung?
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Abgeordneten Westerwelle?
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Aber gerne, Herr
Westerwelle. Für Sie tue ich immer etwas.
Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Es muß jetzt hier nicht jeder
Redner unter Beweis stellen, daß er die deutsche Sprache
beherrscht.
 Herr Minister, Sie haben gesagt, man müsse über Wichtigeres
sprechen. Finden Sie nicht auch, daß eine Kultusministerkonferenz,
die die Frage, ob man "Schiffahrt" mit zwei oder drei "f"
schreibt, für wichtiger als die Verkürzung der Ausbildungszeiten
in Deutschland hält, ziemlich weit weg vom Leben ist?
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Herr
Westerwelle, Ihre Feststellung in bezug auf die Ausbildungszeit
zeugt von Unkenntnis der Beschlüsse der Kultusministerkonferenz.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS -- Lachen bei
der F.D.P.)
Was "Schiffahrt" mit zwei oder drei "f" anbetrifft, wäre es
vielleicht ganz nützlich gewesen, Sie hätten das einem
Abgeordneten Ihrer Fraktion rechtzeitig gesagt; denn der hat im
Sturm auch die Neuregelung der Rechtschreibung auf den Weg
gebracht, weil er der Meinung war, jetzt dürfe er Schiffahrt nicht
mehr mit drei "f" schreiben.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
PDS)
 Ich habe ja ein gewisses Verständnis für diese Auffassung; denn
in der Tat: Wer in die Reichsverfassung von 1849 hineinsieht, der
wird feststellen, daß "Schiffahrt" dort in der Tat mit drei "f"
geschrieben wurde. Möglicherweise hat diese historische Erinnerung
die Schulkenntnisse dieses Abgeordneten überlagert.
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, es besteht der
Wunsch zu einer zweiten Zwischenfrage, diesmal des Abgeordneten
Dr. Gerhardt.
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Nein, jetzt
mache ich weiter.
 Viertens. Die Neuregelung räumt mit einer Marotte auf, die sich
im Deutschen zum Schrecken der Schulkinder und der Ausländer immer
mehr eingebürgert hat, nämlich, daß Begriffe und Vorstellungen,
die durch mehr als ein Wort ausgedrückt werden,
zusammengeschrieben werden müssen. Dafür gibt es überhaupt keinen
zwingenden Grund. Ob ich nun sage "Wir müssen uns bald
wiedersehen" oder "Wir sehen uns bald wieder sehen": In beiden Fällen
drücken die beiden Wörter "wieder" und "sehen" die gleiche
Vorstellung aus. Aber nur in einem Fall, nämlich wenn die beiden
Wörter unmittelbar nebeneinander stehen, muß man sie
zusammenschreiben. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund.
 Heute habe ich in einem interessanten Papier, das Sie, Herr
Gerhardt, in Umlauf gesetzt haben, gelesen, man könne
"schwerfallen" und "schwer fallen" nicht mehr unterscheiden. Das
macht überhaupt keine Mühe. "Er fiel schwer" und "Das fiel mir
schwer" oder "Es fiel ihnen schwer, die Gründe für die
Rechtschreibreform zu verstehen" ist ohne Mühe zu unterscheiden.
In allen Fällen wird "fallen" und "schwer" auseinandergeschrieben.
Wo sind da Ihre Probleme?
(Beifall bei der SPD -- Zuruf von der SPD: Es fällt ihnen schwer!
-- Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist aber ein sehr
unernster Vortrag, meine Herren!)
-- Aber Herr Kleinert, das muß doch nicht gerade von Ihnen kommen.
 Meine Damen und Herren, lassen Sie sich von einem Anglisten
sagen: Im Englischen gibt es ähnliche Zusammensetzungen. Kein
Mensch kommt auf die Idee, dort eine Regel aufzustellen, daß alle
diese Wörter zusammengeschrieben werden müssen. Dadurch spart man
sich im Englischen viele Schulstunden und sehr viele Tränen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, darf ich Sie kurz
unterbrechen! Es besteht der Wunsch nach zwei Zwischenfragen, des
Abgeordneten Eylmann und des Abgeordneten Dr. Gerhardt. Wollen Sie
die beantworten?
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Ich bin gern
bereit, die Frage des Abgeordneten Eylmann zu beantworten.
(Beifall bei der SPD -- Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.
-- Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Er hat die Hosen voll! --
Joachim Gres [CDU/CSU]: Arrogant bis zum Letzten! Ein starkes
Stück!)
-- Also gut, ich beantworte auch die Frage von Herrn Gerhardt.
Horst Eylmann (CDU/CSU): Herr Minister, obwohl Vokabular und
Diktion Ihrer Rede genau der unerträglichen Arroganz der
Kultusministerkonferenz entspricht
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
und sich -- den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen -- sehr zu
Ihrem Nachteil von den Ausführungen Ihrer Vorrednerin
unterscheidet,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
will ich mir erlauben, Ihnen eine sehr sachbezogene Frage zu
stellen, weil Sie so sehr auf den Vereinfachungseffekt abgestellt
haben, der den Schülerinnen und Schülern und den Menschen
überhaupt die Schreibung der deutschen Sprache ja angeblich
erleichtern soll: Stimmen Sie mir zu, daß der Unterschied zwischen
Aussprache und Schreibung in der englischen Sprache wesentlich
größer ist als in der deutschen? Stimmen Sie mir des weiteren zu,
daß die Regierungen in Großbritannien und den USA trotzdem nicht
auf die Idee gekommen sind, die Schreibung des Englischen zu
vereinfachen? Stimmen Sie mir ferner zu, daß diese großen
Unterschiede zwischen Schreibung und Aussprache kein Hindernis
dafür waren, daß sich die englische Sprache zu einer Weltsprache
entwickelt hat?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Zunächst zu
Ihrer Einleitung, Herr Abgeordneter Eylmann: Ich weiß nicht, mit
welchem Recht Sie uns hier Arroganz vorwerfen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD -- Widerspruch bei der CDU/CSU
und der F.D.P.)
Sie haben die Anhörung des Rechtsausschusses zur Neuregelung der
Rechtschreibung mit dem Satz begonnen, jetzt ginge es erst einmal
darum, darzustellen, was die reaktionärste aller Einrichtungen,
die Kultusministerkonferenz, vorgelegt hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das war ein Höhepunkt der Unfairneß in bezug auf Ihre Stellung als
Vorsitzender des Rechtsausschusses.
(Beifall bei der SPD -- Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU und der
F.D.P.)
 Nun zu Ihrer Sachfrage. In der Tat kann es solche Bemühungen im
Englischen nicht geben, weil die Unterschiede zwischen Schreibung
und Lautung inzwischen ein solches Maß erreicht haben, daß solche
Systematisierungsansätze dort zu nichts führen würden. Aber eine
solche Situation haben wir nicht. Mit dem von mir erwähnten
Beispiel hat dieses überhaupt nichts zu tun; denn die Zusammen-
oder Getrenntschreibung hat mit der Schreibung der einzelnen
Wörter überhaupt keinen Zusammenhang.
 Und nun, Herr Gerhardt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD -- Dr. Wolfgang Gerhardt
[F.D.P.]: So teilen Sie mich hier nicht zu! Ich möchte gleich fünf
Minuten reden! -- Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Herr Oberlehrer!
Die Arroganz der absoluten Mehrheit!)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich bitte um Ruhe, der Minister
hat das Wort. Herr Minister, wollen Sie fortfahren, oder sind Sie
mit Ihrer Rede am Ende?
(Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.])
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Nein, ich bin
nicht zu Ende.
 Die Rechtschreibung war derartig passend und behutsam angelegt
sowie der Aufgabe gemäß, daß zunächst auch große Akzeptanz
bestand. Es sind in den deutschen Zeitungen Texte in der neuen
Rechtschreibung mit dem ausdrücklichen Hinweis erschienen: Dies
war im übrigen gemäß der neuen Rechtschreibung, falls Sie es
bemerkt haben sollten bzw. falls Sie es nicht gemerkt haben
sollten. Die Zielstellung der Kultusministerkonferenz war also
durchaus erreicht.
 Aber dann kam der große Aufstand der Schriftsteller und Dichter.
Diese hatten sich jahre- und jahrzehntelang um die
Orthographiedebatte nicht gekümmert, aber dann ließen sie sich von
einem Studienrat einreden, ihre literarische Freiheit sei bedroht.
Sachargumente sind von den Dichtern und Schriftstellern nicht
gekommen. Vielmehr liefen alle Proteste nur darauf hinaus, es
dürfe überhaupt keine Regelung erlassen werden, jedenfalls keine
Neuregelung. Das ist im Zusammenhang mit einer
Rechtschreibungsdebatte kein Sachargument. Aber da die Debatte in
Deutschland stattfindet, stehen mystische und irrationale
Argumente in hohem Ansehen.
(Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS])
 Wir haben heute schon mehrfach gehört: Die Sprache gehört dem
Volk. Natürlich gehört die Sprache dem Volk, wem denn sonst? Nur,
bei einer Rechtschreibregelung ist dies das abwegigste aller
denkbaren Argumente. Es geht hier nämlich nicht um die Sprache. Es
geht um die Schreibung, genauer gesagt um die Rechtschreibung. Es
geht um Regeln, die feststellen, welche Schreibung richtig ist.
Solche Schreibregeln, meine Damen und Herren, sind in jedem Land
und zu jeder Zeit definiert, von einer Autorität vorgegeben und
durchgesetzt worden. Es gibt keine Rechtschreibung, die aus dem
Volk erwächst. Es kann keine Rechtschreibung geben, die aus dem
Volk erwächst.
 Ganz generell neigt jede Sprache zu einer ständig
fortschreitenden Differenzierung. Selbst die gesprochene Sprache,
die nun wirklich dem Volk gehört, bedarf gesellschaftlich
anerkannter Normen oder doch zumindest prägender Vorbilder, wenn
die Sprachgemeinschaft nicht zerfallen soll. Schreibnormen sind
überhaupt nur von einem Punkt aus definierbar und müssen immer
bewußt gelernt werden. Darum gibt es auch keine nachvollziehende
Rechtschreibregelung.
 Auch für eine einmal definierte Rechtschreibnorm gilt, daß sie
durch Einzelentscheidungen immer differenzierter und komplizierter
wird, wie die Entwicklung der deutschen Rechtschreibung seit 1901
zeigt. Einzelentscheidungen machen die Sache vielleicht für den
konkreten Fall einfacher. Das System wird im allgemeinen aber
komplizierter.
 Wer also seine literarische Persönlichkeit durch die Neuregelung
beschädigt sieht, wer meint, das Volk schaffe in einem spontanen
Prozeß die Rechtschreibung, der mag ein angesehener Autor sein,
aber dieser Ansatz ist falsch.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
 Nun, meine Damen und Herren, ein Wort zu den Professoren.
(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Da gibt es auch gute, das ist wahr!)
Wir erlebten das gleiche wie immer: Jeder tritt mit dem Modell
auf, nach dem sich dann die Wirklichkeit zu richten hat. In eine
jahre- und jahrzehntelange Debatte kann man nicht mit der
Vorstellung hineingehen, jetzt gäbe es die einmal und alles
erlösende Idee, und das hätten alle zu akzeptieren. Leibniz muß an
deutsche Professoren der Geisteswissenschaften gedacht haben, als
er in die Philosophie den Begriff der "fensterlosen Monade"
einführte. Neu ist das Schauspiel im übrigen nicht. Schon 1876
flog die erste Konferenz zur Vereinheitlichung der deutschen
Rechtschreibung in erbittertem Gelehrtenstreit buchstäblich in die
Luft. Über diesen Skandal hat die historische Erinnerung
allerdings mittlerweile den Schleier mildtätigen Vergessens
gebreitet; man ist wieder zu neuen Taten erstarkt.
 Ich würde mir gern den Spaß machen, die 51
Germanistikprofessoren, die es im übrigen zu einer
Protesterklärung von maximal drei Sätzen gebracht haben,
(Lachen bei Abgeordneten der SPD)
aber unlängst die mangelnden sprachwissenschaftlichen Grundlagen
der Neuregelung der Rechtschreibung beklagt haben, jeweils
getrennt in ein Zimmer zu sperren. Sie sollen einmal die von ihnen
vermißten Grundlagen zu Papier bringen!
(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD])
Das Experiment würde nämlich erweisen, was jeder Philologe im
Studium lernt oder jedenfalls lernen sollte: Es gibt gar keine
einheitlichen Grundlagen für die Rechtschreibung. Jede
Rechtschreibung ist ein Mixtum compositum aus einer Vielzahl
unterschiedlicher Prinzipien. Darum ist auch die ganze Fehler- und
Mängeldebatte völlig unsinnig.
(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS])
 Die jetzige Neuregelung der Rechtschreibung ist ja nicht, wie
hier behauptet wurde, von der Kultusbürokratie ersonnen worden.
Dies ist das Werk von Fachleuten.
(Horst Eylmann [CDU/CSU]: Das ist der Fehler!)
Der einzige Eingriff von Kultusministern bestand darin, daß sie
eine Vielzahl von Vorschlägen für die Neuregelung ablehnten, daß
sie das Maß des Möglichen immer weiter einengten. Es sind
Vorschläge von Fachleuten, und es gibt Kritik von Fachleuten, weil
es nämlich darum geht, Möglichkeiten abzuwägen, weil man zwischen
Alternativen entscheiden muß. Da kann man über Entscheidungen
sprechen, aber nicht über Fehler und Mängel.
 Darum wird es auch niemals ein Ende einer solchen Debatte geben.
Es gibt keine Rechtschreibreform, zu der anschließend alle sagen:
Das ist es, was wir gewollt haben. Ich bekenne freimütig, daß auch
mich eine ganze Reihe von Punkten an dieser Rechtschreibreform
stört. Aber es gibt keinen anderen Ansatz, und es kann auch keinen
anderen geben, es sei denn, wir verzichten auf jeden Versuch einer
Einführung neuer Rechtschreibregelungen.
 Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns darüber einig
sein: Diese Debatte ist weniger
eine Debatte über Fachfragen als eine politische Debatte. Es geht
um die Tatsache, ob dieses Land veränderungswillig und
veränderungsfähig ist.
(Lachen bei der F.D.P. -- Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
PDS)
Die weitverbreitete Übellaunigkeit, weil dieses Land unübersehbar
vor großen Veränderungen steht, der generelle Mißmut, weil
Besitzstände auf den Prüfstand gehören, die Verdrossenheit über
Politik und Politiker, das allgemeine Nörgeln gegen "die da oben",
dazu noch die nie ausgelüfteten Ressentiments gegen Schule und
Lehrer:
(Dr. Hermann Otto Solms [F.D.P.]: Es reicht!)
das alles ließe sich -- ohne Gefahr, dafür geradestehen zu müssen
-- bequem bündeln und als Wurfgeschoß verwenden. Sie wissen doch
ganz genau, daß die meisten, die sich an Unterschriftenaktionen
beteiligen, nicht wissen, was der Inhalt dieser Neuregelung der
Rechtschreibung ist,
(Joachim Gres [CDU/CSU]: Der Herr Oberlehrer weiß alles besser!)
sondern schlicht und ergreifend gegen Veränderungen sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
 Nicht um die Neuregelung der Rechtschreibung geht es in Wahrheit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
Es geht um die Frage, ob diese Gesellschaft veränderungsfähig und
veränderungswillig ist.
(Widerspruch bei der F.D.P. -- Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Die
Rechtschreibreform als Standortfaktor! -- Zurufe von der SPD und
der PDS)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen, darf ich Sie um etwas Ruhe bitten! -- Herr Minister,
darf ich Sie vielleicht darauf aufmerksam machen, daß Sie als
Mitglied des Bundesrates natürlich jede Menge Zeit zu reden haben;
aber wenn Sie mehr als 20 Minuten reden, eröffnen Sie die Debatte
neu.
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Ich komme jetzt
zum Ende, Frau Präsidentin.
 Wenn es schon bei einem Reförmchen wie diesem zu solchen
Reaktionen kommt, was soll dann erst geschehen, wenn es wirklich
ernst wird mit Veränderungen in Deutschland?
(Lachen und Beifall bei der SPD und der PDS -- Dr. Peter Ramsauer
[CDU/CSU]: Sie Verräter! -- Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]:
Realsatire!)
 Daher, meine Damen und Herren: Setzen Sie ein positives Zeichen,
daß dieses Land nicht veränderungsscheu ist! Lehnen Sie diesen
Antrag ab!
 Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD und der PDS -- Zurufe von der F.D.P.)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen, ich darf Ihnen zur Geschäftslage folgendes mitteilen:
Vor der Abstimmung haben wir noch zwei Kurzinterventionen und drei
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
 Erste Kurzintervention. Bitte schön, Frau Abgeordnete Erika
Steinbach, CDU/CSU.
Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Kultusminister! Frau
Kultusministerin! Ein parlamentarisches Gremium ist allerlei
gewöhnt. Allerdings muß ich eines sagen: Eine solche Arroganz und
Überheblichkeit gegenüber einem Parlament ist mir in den sieben
Jahren meiner Abgeordnetentätigkeit noch nicht vorgekommen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie bei der F.D.P. --
Widerspruch bei der SPD und der PDS)
Man soll Dinge nicht in statischer Weise auf sich beruhen lassen.
Das Leben geht weiter, und die Dinge verändern sich. Man soll auch
Veränderungen wollen. Nur, diese Veränderungen müssen am Ende
einen Sinn ergeben, verehrter Herr Kultusminister Meyer.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
 Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie unter Zugrundelegung der Regeln
der neuen Rechtschreibung, so wie Sie sie haben möchten, ein
Diktat mit dem von Ihnen beschriebenen Personenkreis durchführen
würden, das Ergebnis wäre kein anderes als das, das Sie vorher bei
dem anderen Diktat erzielt haben. Aber wenn Sie, verehrter Herr
Minister Meyer, einen Ihnen unbekannten Text, dessen
Zeichensetzung nach den neuen Regeln erfolgte, vortragen müßten,
ohne ihn vorher studiert zu haben, dann werden Sie eine glatte
Bauchlandung erleben, weil Sie das nicht können werden.
 Ich möchte Ihnen einen Rat mit auf den Weg geben -- das ist jetzt
scherzhaft gemeint --: Bitte überprüfen Sie im Zuge Ihrer
Vereinfachung, ob man nicht alle Meyers gleich schreiben sollte.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -- Heiterkeit bei der SPD)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich schlage vor, daß zunächst der
Abgeordnete Gerald Häfner zu einer zweiten Kurzintervention das
Wort erhält. Anschließend kommt eine dritte Kurzintervention,
nämlich vom Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger.
(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Auch das noch!)
Danach erhalten Sie, Herr Professor, Gelegenheit, darauf zu
antworten.
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrter Herr
Minister! Auch ich fühle mich durch Ihre Rede angesprochen. Sie
haben ja das, was hier läuft, als Groteske bezeichnet. Ich teile
Ihre Meinung. Ich frage mich und ich frage vor allen Dingen Sie
ganz ernsthaft, ob Sie angesichts des in Teilen doch sehr
beklagenswerten Zustandes des Schulwesens in Deutschland, ob Sie
angesichts der Situation an den Universitäten kein dringenderes
Problem sehen als die Frage, ob wir zum Beispiel "Schneewächte" in
Zukunft nicht mehr mit "ä", sondern mit "e" schreiben dürfen. Es
ist so lächerlich, so unglaublich und so absurd.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. )
 Seit Kaiser Wilhelms Zeiten hat sich Sprache im Gebrauch und
Vollzug der Menschen entwickelt und verändert. Ich habe hier schon
einmal gesagt: Daß ich "Foto" in meiner Schulzeit mit "ph"
geschrieben habe und es heute mit "f" schreibe, verdanke ich
keiner Anordnung eines Kultusministers. Vielmehr habe ich selbst
das so entschieden. Sprache ist ein lebendiger Organismus, der
sich ständig verändert, und Sprache ist eines von den Dingen --
das bitte ich Sie nun wirklich ernst zu nehmen --, die der Politik
vorausgehen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der
CDU/CSU und der F.D.P.)
Wir Politiker machen Sprache nicht; wir nutzen sie mehr oder
weniger gut. Darüber kann man ja streiten. Wir leben in der
Sprache; wir gestalten sie mit. Aber wer gibt Ihnen denn das
Recht, sich als Kultusminister hinzustellen und zu sagen, daß das
deutsche Volk in Zukunft dieses Wort so und jenes anders zu
schreiben hat? Ist das nicht absolut absurd?
 Nehmen Sie doch diesen Geßler-Hut von der Stange, ehe die Leute
ihn herunterschießen. Es gibt im ganzen Land Prozesse über diese
Frage; es gibt Volksbegehren über diese Frage. Ihrer eigenen
Kommission laufen die vernünftigen Sachverständigen davon.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja, genau!)
Nur die Kultusminister halten die Fahne hoch und sagen: Wir wollen
Veränderungen in Deutschland. In Zukunft darf man "schlechtmachen"
nicht mehr zusammenschreiben; man muß es auseinanderschreiben. Ja,
wenn Sie diese Reform schlecht gemacht haben, Herr Minister, dann
ist es etwas anderes, als wenn sie sie schlechtgemacht haben.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei
der CDU/CSU und der F.D.P.)
 Die Behauptung, daß Schrift und Sprache nicht zusammenhängen, ist
falsch. Lassen Sie doch den Deutschen ihre Sprache und ihre
Schrift. Sie verändert sich sowieso ständig. Daß man in Amerika
jetzt teilweise "You, too" als "U 2" schreibt und nicht so, wie
die Grammatik es vorgibt, hat den Amerikanern niemand
vorgeschrieben. Das machen einige so und andere anders. Auch in
Deutschland werden sich die Dinge verändern, auch dann, wenn die
Kultusminister ihre Finger davon lassen. Deshalb wäre ich sehr
froh, wenn wir diesen Antrag beschlössen.
 Ein Letztes noch zu den Kosten. Auch ich bin von den
Schulbuchverlegern und anderen Verlegern angerufen worden. Ich
will Ihnen erzählen, was sie mir erzählt haben. In meinem
Bundesland zum Beispiel, in Bayern, dürfen seit dem Beginn des
letzten Schuljahres nur noch Schulbücher zugelassen werden, in
denen komplett die neue Rechtschreibung angewendet wird. Was ist
passiert? -- Sie haben für Physiklehrbücher, für Chemielehrbücher,
für Mathematiklehrbücher Neuauflagen gemacht; sie sind auf den
alten Auflagen in einem Wert von Millionen sitzengeblieben. Jetzt
können sie die Neuauflagen nicht unter die Leute bringen, weil
vieles von dem, was damals vorgeschrieben wurde, jetzt schon
wieder verändert worden ist.
(Zuruf von der SPD: Das schafft Arbeitsplätze!)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ihre Redezeit ist zu Ende.
Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zum Schluß.
 Herr Wernstedt hat mir, als wir zusammensaßen und ich ihn gefragt
habe, wie es denn nun mit dem Fluch dieser bösen Tat, der
Kommission und den Vorschriften weitergehen soll, gesagt: Wir
werden natürlich eine ständige Kommission einsetzen müssen, die
die deutsche Rechtschreibung begleitet und in regelmäßigen
Zeitabständen Neuschreibungen verordnet. Dazu sage ich: Bitte
nicht! Lassen Sie den Blödsinn. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen
Sie für den Antrag!
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Wir haben eine Kurzintervention
mehr und eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung weniger. --
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Pflüger.
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Minister Professor Meyer, zu
dem Politisch-Inhaltlichen möchte ich mich gar nicht äußern; denn
es ist Ihr gutes Recht, Ihre Meinung zu haben. Wir hatten ja eine
Debatte dazu. Ich möchte aber schon etwas zu der Art und Weise
sagen, in der Sie hier vorgetragen haben.
(Zuruf von der SPD: Haben wir doch schon gehört!)
Ich glaube, das ist etwas, was das ganze Haus angeht.
 Ich weiß nicht, wie es im Sächsischen Landtag üblich ist. Aber
einem Kollegen gleich in der ersten Minute Ihrer Rede zu sagen:
"Hören Sie zu, dann lernen Sie etwas!", und eine Diskussion, die
in der gesamten Öffentlichkeit geführt wird -- bei mir im
Wahlkreis zum Beispiel gibt es eine Bürgerinitiative --, als
Groteske zu bezeichnen ist ein Stil, den wir im Deutschen
Bundestag jedenfalls nicht hinnehmen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. -- Zurufe von der SPD --
Unruhe -- Glocke der Präsidentin)
 Das zweite, was ich sagen will, ist folgendes: Sie haben gesagt -
- auch das ist eine Stilfrage --, die Schriftsteller hätten nichts
beigetragen, sie hätten keine Sachargumente gehabt. Ich kann mich
an den Vortrag von Reiner Kunze auf dem letzten Bundesparteitag
der CDU in Leipzig erinnern und kann nur sagen: Ich fand, das war
ein glänzender Vortrag mit vielen sachlichen Argumenten. Sein
zentraler Punkt war, daß es hierbei um eine Sprachnivellierung
geht, die er unerträglich findet. Ich weiß nicht, ob man es, wenn
deutsche Schriftsteller so etwas sagen, einfach als Groteske abtun
kann. Sie würden sich selbst einen größeren Gefallen tun, wenn Sie
auf die Inhalte eingehen und sie debattieren würden, anstatt in
dieser Weise Leute abzuwerten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
 Dritter Punkt. Wir haben uns, Herr Professor Meyer, um einen
Konsens bemüht. Der Kollege Eylmann war einigungs- und
gesprächswillig. Wenn etwas grotesk ist, dann ist es die Tatsache,
daß darauf nicht eingegangen worden ist, sondern auch das
abgebügelt worden ist.
 Letzter Punkt. Sie sprachen davon, bei dem Ganzen handele es sich
in Wirklichkeit um die Frage, ob Reformwillen bestünde oder nicht.
Ich kann Ihnen nur sagen: In meinem Wahlkreis hat mich in den acht
Jahren, in denen ich im Bundestag bin, noch nie irgendein Mensch
angesprochen, um mir zu sagen, daß eine Reform auf diesem Gebiet
notwendig sei. In bezug auf alle anderen Gebiete tun sie das.
Diesbezüglich hat es keiner getan.
(Beifall bei der F.D.P.)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, möchten Sie darauf
antworten?
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie müssen nicht! Sie dürfen nur!)
 Staatsminister Dr. Hans-Joachim Meyer (Sachsen): Ich möchte es
sehr kurz machen. Den Vorschlag von Frau Kollegin Steinbach nehme
ich gern an, wenn ich meine eigene Schreibung behalten kann.
 Ihre Forderung in bezug auf das Zurücktreten der
Kultusministerkonferenz hätte zur Folge, daß das bleibt, was jetzt
ist, nämlich daß die Dudenredaktion, also eine private
Institution, das festlegt, was für das gesamte Land verbindlich
ist. Das ist der entscheidende Punkt.
(Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Nur kein Neid! -- Joachim
Gres [CDU/CSU]: Was ist daran schlecht?)
-- Es wäre insofern gut, als Sie im Bundestag darauf dann keinen
Einfluß hätten.
(Beifall bei der PDS)
 Aber Sie müssen sich doch einmal überlegen, was Sie tun. Sie
halten es für richtig, daß eine zufällig zusammengesetzte
Dudenredaktion generelle Verbindlichkeiten festlegt. Dagegen
protestieren Sie nicht. Aber wenn im Ergebnis eines langen
Diskussionsprozesses ein solcher Vorschlag erarbeitet wird, dann
halten Sie das für einen staatlichen Eingriff. Das kann ich nicht
nachvollziehen.
(Beifall bei der SPD und der PDS)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Dann kommen wir zu den
Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung. Das
Wort hat der Abgeordnete Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Ich will in Übereinstimmung mit
vielen Kolleginnen und Kollegen der F.D.P.-Fraktion  ) zur
Abstimmung folgendes erklären: Der Deutsche Bundestag wird in der
vorgesehenen Beschlußvorlage die Kultusminister der Länder bitten,
an der Entwicklung eines Verfahrens mitzuarbeiten, in dem
Fortentwicklung der Sprache behutsam nachgezeichnet und
festgestellt wird, was als Konsens in der Sprachgemeinschaft
gelten kann. An dieser Aufgabe sollen alle, die durch ihre
beruflichen und wissenschaftlichen Bezüge der Sprache besonders
verpflichtet sind, beteiligt werden. Damit macht der Bundestag auf
einen kardinalen Fehler bei der bisherigen Arbeit aufmerksam,
nämlich auf den Verzicht der Beteiligung der Träger deutscher
Schriftkultur, von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
bis zu Schriftstellern, Journalisten und vielen anderen.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie des Abg. Gerald
Häfner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
 Herr Kultusminister, es ist doch nicht die Frage, ob man
Thunfisch ohne "h", plazieren mit "tz" und Necessaire mit zweimal
"ss" schreibt, es geht doch nicht um die Frage der Eindeutschung
und Kommasetzung. Es geht um die Frage des kulturellen Verlustes
der deutschen Schriftsprache im Bereich der Getrennt- und
Zusammenschreibung; das macht die große Thematik aus.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU --
Widerspruch bei der SPD)
Deshalb sind Ihnen führende Germanisten aus der Kommission
davongelaufen. Der Potsdamer Germa-

 ) siehe Anlage 8
nist Eisenberg sagt, er wolle sich nicht länger zum Narren halten
lassen. Angesichts Ihrer Ansprache hier möchte auch ich das nicht.
Wir als F.D.P.-Fraktion hätten gerne einer weitergehenden
Beschlußfassung zugestimmt.
(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist doch keine Erklärung zur
Abstimmung!)
-- Zur Abstimmung: Wir hätten gerne einer weitergehenden
Beschlußfassung zugestimmt. -- Es ist aus unserer Sicht keine
Schande, wenn die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung sagt,
die Rechtschreibreform solle so nicht mehr eingeführt werden, die
Kultusministerkonferenz solle innehalten, nach einem neuen Konsens
suchen und zu neuen Einsichten gelangen.
(Zuruf von der SPD: Das ist doch keine persönliche Erklärung!)
Dem schließen wir uns inhaltlich voll an.
(Beifall bei der F.D.P.)
 Wir fordern Sie auf, mit Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag
innezuhalten, die Reform zu überprüfen, die Träger der deutschen
Schriftkultur zu beteiligen, den Schulen nicht eine Einführung
zuzumuten, die so ungeordnet vonstatten geht.
(Zuruf von der SPD: Das ist ein Debattenbeitrag! -- Weitere Zurufe
von der SPD)
 Wir hegen die Erwartung, --
(Glocke der Präsidentin)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordneter, bitte sprechen
Sie zur Abstimmung.
Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): -- daß ein Innehalten nicht
Ausdruck von Reformfeindlichkeit ist, sondern Ausdruck des
Verantwortungsbewußtseins gegenüber der deutschen
Sprachgemeinschaft. Deshalb fordern wir Sie dazu auf.
 Das ist eine klare Erklärung zum Abstimmungsverhalten vieler
Kolleginnen und Kollegen der F.D.P.-Fraktion. So werden wir jetzt
entscheiden und verbinden damit diesen politischen Wunsch.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort zu einer Erklärung zur
Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung hat die Frau Abgeordnete
Dr. Liesel Hartenstein.
Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich weiß, Ihre Geduld ist sehr schnell am Ende. Ich
werde mich deshalb bemühen, mich kurz zu fassen. Wenn man manche
dieser Debattenbeiträge heute verfolgt hat, konnte man sich nur
wundern. Das gilt auch, Herr Staatsminister, in bezug auf Ihren
Beitrag. Ich will darauf aber nicht eingehen, weil ich etwas zur
Abstimmung sagen will.
 Ich möchte aber vorausschicken, daß man offensichtlich zwei
selbstverständliche Dinge nicht sehen bzw. nicht wahrhaben will:
 Erstens. Jede Reform braucht Akzeptanz in der Gesellschaft.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)
Diese Rechtschreibreform hat aber nicht die nötige breite
Akzeptanz in der Gesellschaft. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
 Zweitens. Man will auch nicht sehen, daß sich gerade an diesem
Punkt die Grundsatzfrage stellt, wie man denn überhaupt mit der
Sprache umgehen kann und wie nicht. Man muß einfach wissen, daß es
sich nicht um ein hölzernes Instrument handelt, das man nach
Belieben zurechtschnitzt, oder um etwas, das man in ein
Paragraphenkorsett einschnüren könnte. Wenn man Veränderungen an
der Sprache vornimmt, kann das nicht als Verwaltungsakt geschehen
und darf nicht von oben her übergestülpt werden. Das wird nicht
funktionieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
 Zur Abstimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich möchte dem
Antrag auch in dieser zugegebenermaßen abgeschwächten Form
zustimmen.
(Zuruf von der SPD: Schwammigen Form!)
Mit ihm soll eine gründliche Überarbeitung und Korrektur des
Regelwerkes erreicht werden; die Kultusminister werden
ausdrücklich darum gebeten. Ich halte es für unerläßlich, daß dies
geschieht. Das ist nämlich der Kerngehalt dieses Antrages. Damit
verbunden ist der dringende Appell an den Herrn
Bundesinnenminister, die neue Schreibweise doch nicht vor dieser
Überarbeitung in die Amtssprache des Bundes zu übernehmen.
 Ein zweiter Gesichtspunkt ist für mich wichtig: Für eine solche
sprachadäquate Überarbeitung sollte ein unabhängiges Gremium
eingesetzt werden, in das auch Schriftsteller, Journalisten und
Pädagogen einbezogen werden.
 Das ist nämlich bisher versäumt worden. Ich freue mich, Frau
Ministerin Brunn, daß Sie den gleichen Gedanken zum Ausdruck
gebracht haben. Ich möchte allerdings, daß diese Personengruppen,
deren eigentliches Handwerkszeug ja die Sprache ist, nicht nur
angehört, sondern in diese Kommission aktiv einbezogen werden.
 Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht einfach ums
Rechthaben gehen. Dafür ist mir und vielen von uns das Thema
Sprache zu wichtig. Es kann nicht darum gehen, wer im Kampf
letztlich obsiegt hat. Es kann nicht nur um einen fruchtlosen
Streit um Bundes- und Länderkompetenzen gehen. Deshalb bitte ich
darum, daß wir uns darauf besinnen, daß die Sprache wirklich zum
Urbesitz aller menschlichen Individuen gehört. Deswegen müssen wir
behutsam mit ihr umgehen. Deswegen sollte sich ein Konsens
herausbilden, daß Rechtschreibung nur durch eine sorgsame
Nachzeichnung des tatsächlichen Sprachgebrauchs verändert werden
kann. Für den Staat ist hier Zurückhaltung geboten. Ich möchte
klarstellen: Keiner von uns hat gesagt, daß wir ein Bundesgesetz
oder 16 Ländergesetze bräuchten. Das muß man doch bitte zur
Kenntnis nehmen.
 Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Reform ist nicht
abgeschlossen. Sie wird erst beginnen.
 Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich schließe die Aussprache.
 Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Kleinert
(Hannover), Norbert Geis, Reinhold Robbe und weiterer Abgeordneter
zur Rechtschreibung in der Bundesrepublik Deutschland, Drucksache
13/10183. Dazu darf ich noch sagen, daß ich eine Liste von
Erklärungen zur Abstimmung der die Rechtschreibreform
unterstützenden Abgeordneten habe, die ich zu Protokoll gebe.
 Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7028 in der
Ausschußfassung anzunehmen.
 Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? -- Wer stimmt dagegen? -
- Enthaltungen? --
(Zurufe von der SPD: Sehr unübersichtlich! -- Hammelsprung!)
-- Nach Ansicht des gesamten Präsidiums ist die Mehrheit eindeutig
gewesen. Die Beschlußempfehlung ist damit angenommen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Anlage 8 Liste der Abgeordneten der Fraktion der F.D.P.,
die die Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt
zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung
zu dem Antrag "Rechtschreibung in der
Bundesrepublik Deutschland" unterstützen
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Jörg van Essen
Gisela Frick
Dr. Gerhard Friedrich
Rainer Funke
Hans-Dietrich Genscher
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Roland Kohn
Jürgen Koppelin
Uwe Lühr
Günther-Friedrich Nolting
Dr. Rainer Ortleb
Dr. Klaus Röhl
Cornelia Schmalz-Jacobsen
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
Guido Westerwelle